Digitale Hilfe Fragen und Antworten zu den neuen Wegen der psychoonkologischen Betreuung

Autor: Perspektive LEBEN

Onlineberatungen schaffen niederschwellige Angebote auch für jene Menschen, die sich vielleicht sonst nicht zu einem Psychologen trauen würden. © iStock/Muqamba

Wer sich einen Besuch beim Psychologen vorstellt, denkt zuerst an eine Couch, ernste Gespräche mit dem Therapeuten, abgedunkelte Räume und lange Wartezeiten. Die Auswirkungen der Coronakrise zeigen, dass dies auch anders geht. Das Interview mit Prof. Dr. Tanja C. Vollmer, Psychologin, zeigt wie Online-Angebote die Psychoonkologie verändern – sie wird digitaler, niederschwelliger und effektiver.

Was unterscheidet die persönliche Beratung von Angesicht zu Angesicht von einer Online-Beratung in der Psychoonkologie?

Prof. Dr. Tanja C. Vollmer: Fast alles! Im Unterschied zum Gewohnten fehlt die Berührung. Und das meine ich weniger körperlich – obwohl eine erlaubte Schulterberührung manchmal tröstend und therapeutisch hilfreich sein kann –, sondern emotional. Wir sprechen, sehen und hören einander nur indirekt, durch einen Bildschirm hindurch. Wichtige Sinne wie Riechen und Temperaturwahrnehmung fallen weg. Das Gegenüber wirkt dadurch steril. Mimik fällt teilweise der Technik zum Opfer, Körpersprache wirkt schnell statisch, da sie auf den jeweiligen Bildausschnitt reduziert ist. Ich könnte die Liste der Unterschiede noch ins Unendliche fortsetzen. Was aber bleibt, sind die unkomplizierte Hilfe und die grundsätzlichen Methoden, seelische Belastungen zu reduzieren.

Für die Therapeuten bedeutet dies, dass sie ihre Sprache und ihre Wahrnehmung ganz anders als im Gewohnten einsetzen und schärfen müssen. Auch die Interventionen und Übungen müssen an die Online-Situation angepasst werden. Für die Patienten bedeutet dies, dass sie sich einen eigenen geschützten Raum schaffen müssen, da der des Therapeuten fehlt, und sie sich in diesem Raum fernmündlich, per Video oder schriftlich öffnen und offenbaren müssen, vor einem Zuschauer am anderen Ende des virtuellen Raumes, dem Therapeuten.

Unsere Expertin

Prof. Dr. Tanja C. Vollmer, ehe­malige Wissenschaftliche Leiterin der Psycho-Onkologischen Ambulanz am Klinikum der Ludwig-Maximilians- Universität München – Großhadern und derzeitig Gastprofessorin für Architekturpsychologie und Gesundheitsbau an der TU München, baut seit 2009 gemeinsam mit Prof. Dr. Volker Beck und Jens Denker die Online-Beratungsplattform ‚Psycho-Onkologie Online‘ auf. Inzwischen ist diese Plattform ein wichtiges Element der e-Health-Psycho-Onkologie in Deutschland. Seit 2020 ist sie Teil der gemeinnützigen „Gesellschaft für angewandte Psychologie in Architektur und Onkologie e.V.“, die sich u.a. der Weiterbildung zum psychoonkologischen Online-Berater und Therapeuten widmet.

Ist dies ein Risiko oder eine Chance für Patienten?

Prof. Vollmer: Die Chancen überwiegen ganz eindeutig. Online-Beratungen und Therapien schaffen niederschwellige Angebote. Wir erreichen damit Patienten, die im ländlichen Raum chronisch unversorgt sind oder aufgrund körperlicher Beschwerden oder Einschränkungen nicht in die Praxen kommen können. Hinzu kommt, dass in der virtuellen Sprechstunde Raum, Ort und Zeit eigentlich keine Rolle mehr spielen. Das gibt dem Patienten Freiheiten und Hilfe in Momenten, in denen kein Offline-Therapeut zu erreichen ist. In der Summe können wir kon­statieren, dass wir mit Online-Angeboten insgesamt niederschwelliger und viel flexibler und effektiver mehr Patienten psychoonkologisch versorgen können.

Wo ist der Haken dabei?

Prof. Vollmer: Der Haken ist, dass es noch zu wenig qualifizierte Online-Berater gibt. Das heißt, ein guter Offline-Therapeut, ohne eine hinreichende Qualifikation, wird meist keine gute Online-Beratung durchführen können.

Deswegen arbeiten psychoonkologische Expertengruppen mit Hochdruck daran, Ausbildungsangebote für Psycho-Onkologen im Bereich Online-Beratung zu schaffen. Gemeinsam mit den Krankenkassen, Fachgesellschaften und der Deutschen Krebsgesellschaft begeben wir uns auf den Weg, diese Ausbildung rasch und flächendeckend umzusetzen.

Wo sind die Grenzen der Online-Beratung?

Prof. Vollmer: Der Online-Ansatz ist immer dann ideal, wenn schnell und in besonderen Situationen gehandelt werden muss, große Entfernungen oder sonstige Hindernisse wie die chronische Unterversorgung an Psychotherapeuten in Deutschland und damit verbundene lange Wartezeiten zu überwinden sind. Grenzbereiche werden dann erreicht, wenn tiefgreifende psychotherapeutische Interventionen erforderlich sind oder wenn mehrere Personen, beispielsweise in einer Familie, intensive psychoonkologische Unterstützung benötigen. Bei allen Ansätzen gilt, jede Hilfe ist besser als keine Hilfe. Daher sind Online-Beratungen – gerade in Zeiten einer Pandemie – nicht mehr wegzudenken.

Auf was müssen Patienten achten, wenn sie Online-Beratungsangebote wahrnehmen wollen?

Prof. Vollmer: Auf zwei Dinge: Zum einen muss die Technik, die der Psycho-Onkologe benutzt, unbedingt nach den internet privacy standards (ips) geprüft sein und ein Gütesiegel erhalten haben. Zum anderen soll der Psycho-Onkologe eine Zusatzqualifikation für den Bereich „Online“-Beratung vorweisen können. Sind diese Kriterien nicht erfüllt, sollte die Suche nach einem anderen Psycho-Onkologen aufgenommen werden. Eine gute Hilfestellung ist die Webseite der Weiterbildung Psychosoziale Onkologie. Dort finden Psychologen und Therapeuten wichtige Informationen zur Weiterbildung. Bei Psycho-Onkologie Online finden Patienten qualifizierte Online-Beratung und Psycho-Onkologen.