FAQ Was tun bei seltenen Krebsarten?

Autor: Perspektive LEBEN

Schätzungsweise 80 % aller seltenen Erkankungen sind genetisch bedingt. Ursache ist häufig eine einzige Mutation in den Genen. © iStock/TanushkaBu

Seltene Krebserkrankungen stellen Ärzt:innen manchmal vor schwierige Aufgaben. Dabei sind sie gar nicht so selten: Rund 100.000 Menschen bekommen in Deutschland jedes Jahr eine solche Diagnose. Wie sie erkannt und behandelt werden, erklärt Kinderonkologe Prof. Dr. Dr. Christoph Klein, Direktor des Dr. von Haunerschen Kinderspitals in München.

Was sind seltene Krebs­arten?

Prof. Dr. Dr. Christoph Klein: Von „seltenen Erkrankungen“ sprechen wir immer dann, wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Alle Krebserkrankungen bei Kindern sind „selten“. Der Begriff „seltene Erkrankung“ kommt allerdings nicht aus der Onkologie, er wurde von Betroffenenverbänden seltener genetischer Erkrankungen geprägt, die auf der Basis eines einzigen genetischen Webfehlers entstehen. Heute verschwimmen die Grenzen, und das ist auch gut so. Es geht um kranke Menschen, nicht um Begrifflichkeiten.

Welche Erkrankungen fallen zum Beispiel unter diesen Begriff?

Auch erwachsene Patienten können an seltenen Erkrankungen leiden, im Bereich der Onkologie gehören zum Beispiel Weichteilsarkome oder der Schilddrüsenkrebs dazu. Auch die bösartigen Tumoren des lymphatischen Systems, wie die Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome, sind selten.

Wie sind diese seltenen Krebsarten in den Organen verteilt?

Krebserkrankungen sind immer Ausdruck komplexer genetischer Veränderungen. Sie betreffen Zellen aus definierten Organsystemen und nicht den Gesamtorganismus. Die individualtypischen Besonderheiten eines jeden Menschen können hier eine Rolle spielen, darüberhinaus auch die Teilungsraten von Stammzellen in den unterschiedlichen Organen. Das Mammakarzinom ist ein gutes Beispiel: Die Brustdrüsen vergrößern sich durch Zellteilungen enorm, um die Milchproduktion zu gewährleisten. Nach dem Abstillen verkleinern sich die Drüsen wieder. All dies unterliegt komplexen Kontrollmechanismen. Versagen sie, kann das zu Brustkrebs führen.

Welches sind die Hauptprobleme bei diesen Krebsarten?

Ein großes Problem liegt in der mangelnden „Awareness“ und der daraus resultierenden Verzögerung in der Diagnostik. Bei einem Knoten in der Brust liefert eine Mammographie schnell erste Hinweise, ob es sich um einen Brustkrebs handeln könnte. Eine anschließende Gewebeuntersuchung bestätigt oder entkräftet den Verdacht. Anders sieht das zum Beispiel bei seltenen Krebserkrankungen aus. Das Osteosarkom (Knochenkrebs) kann lange unbemerkt wachsen, bis sich erste Symptome zeigen. Knochenschmerzen müssen immer sorgfältig abgeklärt werden!

Wie steht es um die Behandlungsoptionen?

Damit sind wir bei einem zweiten Problem: Für viele Betroffene stehen bislang keine standardisierten Therapieempfehlungen zur Verfügung. Das heißt, die Medizin hat in manchen Fällen noch nicht genug Datenmaterial sammeln können, um daraus allgemein anerkannte Leitlinien für eine erfolgreiche Behandlung ableiten zu können. Klinische Studien, aber auch grundlagenwissenschaftliche Analysen der Krankheitsmechanismen, sind dringend nötig!

Sie nannten Kinder und ­Jugendliche als häufige ­Patientengruppe?

Ja, denn alle Fälle von Krebserkrankungen bei Kindern sind „seltene Erkrankungen“. Dank internationaler und interdisziplinärer Zusammenarbeit können wir heute etwa vier von fünf Kindern mit Krebs dauerhaft heilen. Dies wurde durch sogenannte „multizentrische Therapieoptimierungsstudien“ erreicht. Im Rahmen dieser Studien werden die Patient:innen nach einheitlichen Kriterien diagnostiziert, behandelt und alle Schritte werden nach einem festgelegten Schema dokumentiert. Doch wir wollen gerne noch besser werden und auch jenen Kindern, deren Krebserkrankung wir noch nicht heilen können, Hoffnung schenken. Hier hilft unsere Stiftung Care-for-Rare.

Und was hilft Erkrankten, die nicht in einer dieser Studien erfasst werden?

Leider ist die Durchführung der erfolgreichen Therapieoptimierungsstudien aufgrund der Änderungen im Arzneimittelgesetz heute viel aufwendiger und teurer geworden. Zumindest werden Kinder mit seltenen Tumorerkrankungen in einem Register erfasst. Es ist unser aller Ziel, die Ursachen und Krankheitsmechanismen bei Tumorerkrankungen besser zu verstehen. Dafür sind anspruchsvolle Studien in unseren Laboratorien von zen­traler Bedeutung. Ich bin überzeugt, dass wir dank zunehmender gesellschaftlicher Unterstützung wirkungsvoll dazu beitragen können, eine personalisierte Präzisionsmedizin zu entwickeln, die insbesondere Patient:innen mit seltenen Tumor­erkrankungen helfen wird.


Prof. Dr. Dr. Christoph Klein Prof. Dr. Dr. Christoph Klein, Facharzt für Kinderhämatologie und -onkologie, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik, Dr. von Haunerschen Kinderspital München © privat