Orphan Drugs Besondere Medikamente für seltene Tumorarten

Autor: Christoph Fasel

Jeder Mensch sollte auf Heilung hoffen dürfen. Politik und Pharmafirmen sind hier in der Pflicht. © iStock/Eoneren

Es gibt Krankheiten, von denen nur wenige Menschen betroffen sind. Diese Menschen werden oft als „Waisenkinder der Medizin“ bezeichnet. Ihre Leiden finden inmitten häufiger und bekannter Diagnosen kaum Beachtung. Dazu gehören auch Patient:innen mit seltenen Krebsarten. Auch ihnen können Orphan Drugs helfen.

Orphan Drugs sind Medikamente gegen seltene Krankheiten. Die gibt es in allen Gebieten der Medizin, wie etwa den Stoffwechsel-, Krebs- und Autoimmunkrankheiten. Diese Krankheiten verlaufen oft chronisch und können zu Invalidität oder gar Tod führen. Heute sind rund 8.000 seltene Krankheiten bekannt. Als selten gilt in der Europäischen Union (EU) eine Krankheit, wenn höchstens 1 von 2.000 Personen darunter leidet. Zum Vergleich dazu eine Zahl zu einer häufigen Erkrankung: Rund 170 von 2.000 EU-Bürger:innen leiden an Diabetes Typ 2.

Nur ein kleiner Markt

„Das Problem dieser Medikamente ist, dass sich eine teure Entwicklungsarbeit für viele Unternehmen nicht lohnt“, erklärt Medizinethiker Prof. Dr. Walter Swoboda von der Hochschule Neu-Ulm. Er betont gleichwohl die ethisch dringend gebotene Notwendigkeit der Entwicklung solcher Medikamente. „Medizinische Hilfe darf kein Privileg großer Betroffenengruppen sein“, fügt der Experte an. In der Tat sind die Zahlen der von seltenen Krankheiten betroffener Menschen oft ausgesprochen klein.

So sind vom Riesenastrozytom aufgrund tuberöser Sklerose, eines speziellen Hirntumors, in der ganzen EU mit 420 Millionen Einwohner:innen gerade einmal 44.000 Menschen betroffen. Bei der Achondroplasie, einem Kleinwuchs mit gestörter Knochen- und Knorpelbildung, sind es rund 18.000 Menschen. Und bei Hämophilie B, einer Blutgerinnungsstörung mit dem Faktor-IX-Mangel, sind es gerade einmal 8.500 Menschen.

„Die kleine Zahl der Betroffenen darf aber nie ein Grund sein, ihre Erkrankungen weniger konsequent zu behandeln wie bei weiter verbreiteten Diagnosen“, sagt Prof. Swoboda. „Deshalb ist es wichtig und ethisch notwendig, forschende Unternehmen auf diesem Gebiet durch den Staat besonders zu unterstützen.“

Forschung auf Hochtouren

Wenn es nur wenige Betroffene gibt, sind die Absatzmöglichkeiten für ein neues Medikament begrenzt. Zudem sind auch seltene Krankheiten oft kaum erforscht. Daher hat die Politik Sonderkonditionen für Pharmaunternehmen eingeführt, damit diese sich verstärkt bei der Behandlung von seltenen Krankheiten engagieren. Solche Hilfen etwa sind der Erlass von nicht unbeträchtlichen Gebühren für die Zulassung. Zudem sind zugelassene Orphan Drugs zehn Jahre lang vor einer Konkurrenz durch Wettbewerbsprodukte geschützt – dies mit einer Ausnahme: Dieser Passus gilt nicht, wenn sich ein weiteres neues Medikament als besser wirksam oder besser verträglich für die Patient:innen erweist.

In Deutschland hat das Bundesministerium für Gesundheit gemeinsam mit dem Bundesforschungsministerium und der „Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen“ (ACHSE) das „Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen“ (NAMSE) ins Leben gerufen. Es hat zusammen mit anderen Partnern einen Aktionsplan erarbeitet und sorgt für dessen Umsetzung. „Die Politik hat hier die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen“, stellt Prof. Swoboda fest. Die Bemühungen zeigen Früchte: Seit Jahren bringen forschende Pharma- und Biotechunternehmen zunehmend mehr Medikamente für Betroffene von seltenen Krankheiten auf den Markt. Im Jahre 2019 waren es nach Schätzung von Experten rund ein Drittel aller neuen Medikamente. 

Mehr Hilfen gefordert

Aktuell sind in der EU rund 110 Orphan Drugs zugelassen. Hinzu kommen 52 weitere Medikamente, deren früherer Orphan Drug-Status nach zehn Jahren abgelaufen ist. Fast alle von ihnen sind jedoch noch auf dem Markt. Zudem erproben Unternehmen derzeit weitere Orphan Drugs in klinischen Studien. „Rund 100.000 Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr an einer seltenen Krebserkrankung“, sagt Prof. Swoboda. Er fügt an: „Und praktisch alle Krebserkrankungen bei Kindern gelten als selten.“ Noch immer gestalten sich Diagnose und Therapie dieser Krankheiten oft als schwierig. Prof. Swoboda fordert: „Hier müssen auch in Zukunft die Anstrengungen weiter verstärkt werden. Denn keine Patient:innen dürfen Waisenkinder von Forschung und Behandlung sein!“


Prof. Dr. Walter Swoboda Prof. Dr. Walter Swoboda, Medizinethiker an der Hochschule Neu-Ulm