Hilfe für die Seele Psychoonkologie – Leben lernen mit der Ungewissheit

Autor: Dietmar Kupisch

Die Diagnose Krebs schockiert. Nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für deren Angehörige stellt sie einen plötzlichen Wendepunkt im Leben dar. Das psychoonkologische Beratungsangebot kann helfen, mit den seelischen Belastungen fertig zu werden, wie von den drei psychoonkologischen Expertinnen im Folgenden beschrieben.

Was ist Psychoonkologie?

Heike Koch-Gießelmann: Die Psychoonkologie ist ein integraler Bestandteil der gesamten Krebsbehandlung in zertifizierten Krebszentren und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass Krebs neben den körperlichen Belastungen auch seelische und soziale Auswirkungen hat. Hieraus wurden Möglichkeiten der psychoonkologischen Unterstützung für Krebspatienten und deren Angehörige entwickelt und umgesetzt.

Ab welchem Zeitpunkt stehen Sie Patienten zur Verfügung?

Heike Koch-Gießelmann: Je nach Art und Schwere der Krebserkrankung und bei Bedarf des Betroffenen sind wir bereits beim Diagnosegespräch anwesend. Andernfalls suchen wir jeden Patienten mit neuer Diagnose auf und bieten ihm unsere Hilfe an. Wichtig ist uns die Botschaft, dass wir in jeder Phase seiner Erkrankung zur Verfügung stehen.

Wie intensiv nehmen Patienten psychoonko­lo­gische Hilfe in Anspruch?

Nicole Drees: Das ist ganz unterschiedlich. Einige suchen uns nur punktuell auf, zum Beispiel während der Therapie. Andere hingegen sprechen regelmäßig mit uns, über alle Phasen ihrer Erkrankung hinweg.

Welche Phasen sind gemeint?

Nicole Drees: Vor allem die Dia­gnose, Therapie, Nachsorge und die palliative Situation.

Unterscheiden sich die Behandlungsziele innerhalb der unterschiedlichen Phasen?

Kerstin Möller: Ja, ganz klar: Während der Diagnosephase benötigt der Patient meist Unterstützung, den Schock zu verarbeiten. Oft steckt er in einer Lebenskrise. Hier gilt es, ihn seelisch zu stabilisieren. Während der Behandlung stellt sich dann die Frage, was ihm guttut und wie er am besten mit seinen Ängsten umgeht, etwa vor der Operation. In der Nachsorgephase geht es in der Regel darum, seinem Körper wieder zu vertrauen, Kraft zu schöpfen, nach vorne zu schauen und sich gegebenenfalls neu zu orientieren.

Wo liegen für Sie die größten Herausforderungen?

Heike Koch-Gießelmann: Jeder Betroffene bewältigt seine Krankheit unterschiedlich. Daher kann es also keine standardisierte Behandlungsstrategie geben. Häufig erschüttert die Diagnose Krebs das Selbstbild des Patienten, da es nicht mehr mit der aktuellen Selbsterfahrung übereinstimmt. Im Kern geht es meist darum, den Menschen zu helfen, ihre Ängste zu kontrollieren, mit der Ungewissheit über den Krankheitsverlauf zu leben und die Krankheit zu akzeptieren. Dies gilt übrigens auch für die Angehörigen, denn die Familie und das soziale Umfeld sind immer mitbetroffen. Insbesondere für Kinder krebskranker Eltern und auch den Eltern selbst im Umgang mit ihren Kindern können wir spezifische Unterstützung anbieten.

Was unterscheidet die Psychoonkologie von der Psychotherapie?

Diana Stolle-Grimaldos: Krebspatienten sind nicht psychisch erkrankt. Sie müssen vielmehr mit einer starken psychischen Belastung umgehen. Es gibt somit auch keine psychiatrische Diagnose, die nachfolgend in eine Behandlungsstrategie mündet. Die psychoonkologische Behandlung richtet sich vielmehr nach den Bedürfnissen des Patienten.

Heißt das, Sie fragen den Patienten, wie er konkret unterstützt werden möchte?

Nicole Drees: Ganz genau. Zudem suchen wir nach seinen Ressourcen und nicht nach seinen Defiziten. Wir fördern sozusagen seine gesunden Anteile, um ihn zu stabilisieren. Jeder wird per se individuell betreut.

Was genau ist mit Fördern der gesunden Anteile gemeint?

Kerstin Möller: Wir ergründen, welche Kraftquellen dem Betroffenen zur Verfügung stehen – wie er zur Ruhe kommen kann. In den Gesprächen können eigene Fähigkeiten und Stärken aktiviert oder auch neu entwickelt werden. Darüber hinaus können Angebote wie Malen, Schreiben und Entspannungsübungen diesen Prozess unterstützen.

Wie finden Betroffene einen Psychoonkologen?

Diana Stolle-Grimaldos: Mindestens jedes zertifizierte Krebszentrum hat ein psychoonkologisches Angebot. Aber auch außerhalb der Kliniken findet man Psychoonkologen, an die man sich wenden kann, beispielsweise in Praxen, Krebsberatungsstellen und Rehabilitations-Einrichtungen.

So finden Sie Psychoonkologen in Ihrer Nähe:

  • Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Onkologie e.V.
    Auf der Homepage gibt es ein hilfreiches Adressverzeichnis.
    www.dapo-ev.de
  • Der Krebsinformationsdienst in Heidelberg
    bietet telefonische Beratung an. Auch kann ein Adressverzeichnis abgefragt werden, mit Psychoonkologen, die eine spezifische Fortbildung absolviert haben.
    www.krebsinformationsdienst.de
  • Kassenärztliche Vereinigungen
    haben in der Regel eine Vermittlungsstelle für freie Psychotherapieplätze.
  • Krebsberatungsstellen oder zertifizierte Krebszentren
    bieten psychoonkologische Beratung an und vermitteln bei Bedarf niedergelassene Therapeuten mit entsprechender Zusatzausbildung.

Wird die Betreuung von den Krankenkassen übernommen?

Heike Koch-Gießelmann: Während eines stationären Aufenthalts, also im Akutkrankenhaus, Krebszentrum oder einer Rehaklinik, entstehen keine abrechenbaren Kosten. Auch die ambulanten, psychoonkologischen Angebote der Krebsberatungsstellen sind für die Betroffenen kostenfrei. Psychotherapien bei approbierten, niedergelassenen Psychotherapeuten werden von der Krankenkasse übernommen, wenn eine entsprechende Diagnose vorliegt.


Heike Koch-Gießelmann, Leiterin der psychoonkologischen Abteilung des Klinikums Siloah, Hannover © Privat