Ein Arzt als Krebspatient „Plötzlich hatte ich Krebs“

Arzt als Krebspatient Autor: Dietmar Kupisch

Mittlerweile wird Männern empfohlen, ab 50 Jahren zur Darmkrebsvorsorge zu gehen. © benophotography – stock.adobe.com

Eine Krebsdiagnose verändert das Leben der Betroffenen schlagartig. Sie sind verunsichert, wissen nicht, wie es weitergehen soll, und haben Angst – vor allem, weil sie meist medizinische Laien sind und daher zu wenig über die Krankheit wissen. Perspektive LEBEN fragte einen Mediziner, den die Diagnose traf.

Der Tag der Diagnose liegt ziemlich genau fünf Jahre zurück. Damals arbeitete ich als Unfallchirurg in einem Münchner Krankenhaus – ein Job, der mich richtig beanspruchte. Nacht- und Wochenenddienste bestimmten meinen Lebensrhythmus. Aber ich war zufrieden. Unterm Strich machte mir das alles Spaß: Ich flickte Menschen wieder zusammen und rettete manchmal sogar Leben. Ich empfand das als sehr erfüllend. In meiner Freizeit nutzte ich die Annehmlichkeiten der großen Stadt: Essengehen mit Freunden, Theaterbesuche, Kino und Wandern in den Alpen.

Ein Schock

Ich fühlte mich immer gesund. Hin und wieder durchlief ich die üblichen Gesundheitschecks. Und im Alter von 55 Jahren ging ich ordnungsgemäß zur Darmkrebsvorsorge. Mittlerweile wird Männern diese übrigens ab 50 Jahren empfohlen. Nach der Koloskopie wartete ich im Aufwachraum auf den Gastroenterologen. Als die Tür aufging, war mir schlagartig klar, dass etwas nicht stimmte – seine Mimik verriet ihn. Mir wurde anders. Ohne Umschweife eröffnete er mir, dass sie einen Darmtumor gefunden hatten. Ich müsse zügig ein spezialisiertes Zentrum aufsuchen, der Tumor sei nicht klein. Ein Schock, damit hatte ich nicht gerechnet. Plötzlich hatte ich Krebs!

Aufklärung beruhigte

Ich nahm sofort Kontakt zu einem befreundeten Onkologen aus meiner Heimatstadt Hannover auf. Er empfahl mir ein Darmkrebszentrum im Großraum München und bot mir seine fachliche Unterstützung an. Auch klärte er mich sehr genau über mögliche Prognosen meiner Erkrankung auf – und über Therapieoptionen. Die gewonnenen Erkenntnisse machten mir Hoffnung und halfen. Meine Angst verschwand. Die Operation, so erfuhr ich, sei relativ standardisiert. Als Chirurg konnte ich das gut nachvollziehen. Einer Chemotherapie, die wahrscheinlich war, sah ich ebenfalls gelassen entgegen. Einzig das noch fehlende Untersuchungsergebnis über eventuell vorhandene Metastasen machte mich nervös.

Schwebezustand und Erlösung

Es folgten zahlreiche Untersuchungen. Ziel war eine maximal genaue Diagnostik, um ein umfassendes Bild über den Tumor zu erhalten. Im Fokus stand die Suche nach Metastasen. Ich war in diesen Tagen durchgehend unruhig, befand ich mich doch irgendwie in einem Schwebezustand – so zumindest meine Empfindung seinerzeit. Würde man keine Metastasen finden, wäre meine Prognose deutlich besser. Zudem wären die nachfolgenden Behandlungen weniger umfangreich und belastend. Der Anruf des behandelnden Onkologen erlöste mich schließlich: „Keine Metastasen gefunden!“ Dieser Satz versetzte mich in eine Art Euphorie. Ich wollte so schnell wie möglich behandelt werden – wollte die Krankheit rasch besiegen.

Die Chemo haute mich um

Die Operation war tatsächlich nicht sonderlich belastend. Die Entfernung des Tumors verlief reibungslos. Ich kam schnell wieder zu Kräften. Einzig die verabreichte Spezialkost trübte ein wenig meine Stimmung. Aber auch das war nur von kurzer Dauer. Zwei Wochen nach dem Eingriff fühlte ich mich bereits gesund. Doch dies änderte sich schlagartig kurz nach Beginn der Chemotherapie. Zwar wurden keine Metastasen gefunden, dennoch konnte nicht ausgeschlossen werden, dass sich noch winzig kleine Absiedlungen in meinem Körper befanden. Prophylaktisch verabreichte man mir also Zytostatika. Und die hauten mich um.

Ich war die Ausnahme von der Regel

Im Vorfeld sagte mir mein Onkologe, dass jeder Patient anders auf diese Medikamente reagiere. Nebenwirkungen seien aber immer gut behandelbar. Ich stellte offensichtlich die Ausnahme von der Regel dar: Es ging mir nicht gut. Ständig war mir schlecht. Ich nahm ab. Noch nie zuvor fühlte ich mich körperlich so schwach. Ich verlor während der Therapiephase insgesamt 12 Kilogramm. Am Ende sah ich aus wie der Tod auf Latschen. Und das nicht etwa nur, weil mir sämtliche Haare ausfielen.

Offener Umgang mit der Krankheit

Zehn Tage nach Beendigung der Behandlung ging es mir dann wieder besser. Vor allem konnte ich wieder normal essen. Und der Appetit kam zurück. Rückbetrachtend war das alles dann natürlich gar nicht so schlimm. Mein Ziel, die Krankheit möglichst schnell zu überwinden, hatte ich erreicht. Heute, fünf Jahre später, bin ich geheilt. Kehrt nämlich innerhalb dieses Zeitraumes der Krebs nicht zurück, gilt man als vollständig genesen.

Meine Empfehlung an Betroffene lautet, nie den Kopf hängen zu lassen und auf die moderne Medizin zu vertrauen. Diese Haltung hat mir mental sehr geholfen. Zudem bin ich stets offen mit meiner Erkrankung umgegangen. Jeder in meinem Umfeld wusste Bescheid. Ein Versteckspiel hätte mich sicherlich zusätzlich belastet. So konnte ich mit jedem darüber sprechen, konnte mir meinen Frust von der Seele reden. Das befreite mich und tat immer gut.