Darmkrebs Der Tag, an dem ich nicht mehr verdrängen konnte

Arzt als Krebspatient Autor: Perspektive LEBEN

Die Sorge um die eigene Familie kann auch neue Kraft spenden. © JenkoAtaman – stock.adobe.com

Dr. Thorsten B. ist Unfallchirurg in einer Klinik im niedersächsischen Hildesheim. Hier erzählt er offen über seine Krebsdiagnose – und wie er damit fertig geworden ist.

Das ist nun vier Jahre her: Ich war zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt. Körperlich fühlte ich mich damals sehr gut. Ich trieb regelmäßig Sport – Tennis und Laufen. Den seinerzeit unregelmäßigen Stuhlgang schob ich auf den anhaltenden Arbeitsstress der zurückliegenden Monate in der Klinik. Obwohl das eigentlich nichts Neues war, solche Stressperioden kannte ich seit Jahren.

Mein Stuhl war oftmals ungewöhnlich weich und ich hatte meist das Gefühl, den Darm nicht vollständig entleeren zu können. Ich ging daher häufiger auf Toilette als sonst.

Ich verdrängte das Offensichtliche

Dieser Zustand änderte sich nicht mehr. Selten war mein Stuhl noch fest. Ich begann daher auf meine Ernährung zu achten. Aß Lebensmittel, die einen härteren Stuhl erzeugen, wie Bananen oder Weißmehlprodukte. Im Nachhinein betrachtet, war das ganz schön naiv. Ich machte mir etwas vor – verdrängte das für mich als Mediziner eigentlich Offensichtliche. Gerade als Arzt hätte ich der Sache anders auf den Grund gehen müssen. Aber dazu kam es dann zwangsläufig.

Während eines Wochenenddienstes bemerkte ich beim Toilettenbesuch Blut im Stuhl. Das machte mich nervös! Ich stellte sofort einen Zusammenhang mit meinem unregelmäßigen Stuhlgang her. Nun konnte ich nichts mehr verdrängen. Irgendwas stimmte nicht. Und ich wollte nun möglichst schnell Gewissheit haben. Ich dachte hier das erste Mal an Darmkrebs. Verwarf den Gedanken aber schnell wieder, denn ich war ja eigentlich noch zu jung dafür. Die Vorsorge beginnt ja erst mit 55, so meine Schlussfolgerung. Ein befreundeter Kollege verschaffte mir sofort einen Termin zur Darmspiegelung.

Ich dachte an meine Kinder

Drei Tage später lag ich auf der Liege bei einem Gastroenterologen in Hannover. Ich ließ die Spiegelung ohne Betäubung durchführen – wollte ohne Zeitverzug das Ergebnis erfahren. Nach zehn Minuten konnte ich ihn mit eigenen Augen auf dem Bildschirm betrachten: einen Tumor im Dickdarm. Das war ein Schock! Mir gingen sofort 1000 Gedanken durch den Kopf. Völlig ungeordnet. Ich dachte vor allem an meine Kinder.

Natürlich überhäufte ich meinen behandelnden Arzt sofort mit Fragen. Wobei ich mich nicht traute, das Thema Heilungschancen direkt anzusprechen. Irgendwie wollte ich mich hier dem Kollegen gegenüber nicht als Laie outen. Ich wollte souverän wirken. Er schien dies zu merken und versuchte mich zu beruhigen: Der Tumor lag relativ weit oben im Darm. Einen dauerhaft künstlichen Darmausgang nach der Op. konnte er somit ausschließen. Zudem war der Tumor noch nicht sehr groß und hatte die Darmwand augenscheinlich noch nicht durchbrochen. Eine Metastasierung war somit recht unwahrscheinlich. Aber natürlich musste dies noch überprüft werden. Ich war vorerst beruhigt.

Bloß nicht im Internet informieren!

Die nächsten Untersuchungen wurden bereits für den nächsten Vormittag terminiert. Meine Diagnose hatte Prio­rität. Daran wurde mir bewusst, dass ich keine einfache Erkrankung hatte. Das zog mich sofort wieder runter und ich begann einen schweren Fehler! Die Zeit bis zur nächsten Untersuchung verbrachte ich mit Internet-Recherchen. Ich suchte nach positiven Erfahrungen zum Dickdarmkrebs. Und ich fand nur Katastrophenberichte. Das machte mich völlig fertig! Ich kann jedem nur davon abraten, in solchen Situationen das Internet zurate zu ziehen! Offensichtlich berichten dort nur Menschen mit schlechten Erfahrungen. Das verzerrt die Realität vollständig.

Die Operation – alles lief glatt

Schlafen konnte ich in der kommenden Nacht nicht. Die Untersuchungen am nächsten Morgen gingen relativ schnell. Die Röntgenbilder und Ultraschalluntersuchungen deuteten nicht auf eine Metastasierung hin. Ich war erleichtert – rief sofort meine Frau an. Und ich dachte wieder an meine Kinder, die mich brauchen. Das gab mir unheimlich viel Kraft. Ich hatte Aufwind! Jetzt musste nur noch der Tumor aus meinem Darm raus. Möglichst schnell!

Die bevorstehende Op. machte mir keine Angst. Ich wusste genau, was abgehen wird. Hier beruhigte mich grundsätzlich meine Erfahrung als Chirurg – wenn ich auch nicht speziell mit Tumor­operationen zu tun habe. Das war das erste Mal, dass mein Beruf mir bei der psychischen Bewältigung der Erkrankung half.

Wie erwartet konnte der Tumor gut operiert und komplett entfernt werden. Das befallene Darmstück wurde mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand aus meinem Körper entfernt. Danach wurde der Darm wieder zusammengenäht. Auch die benachbarten Lymphknoten wurden zur Sicherheit gleich mit entfernt. Da keine Absiedlungen mehr gefunden wurden, bekam ich keine Chemo. Ich kam dann sehr schnell wieder auf die Beine. Die Nachsorge erfolgte durch regelmäßige Ultraschalluntersuchungen. Ich bin jetzt über vier Jahre rezidivfrei – das heißt ohne neuen Befund. Ab dem fünften Jahr darf ich mich offiziell geheilt nennen.

Eines spüre ich: Ich lebe seit der Erkrankung viel bewusster. Und ich lasse alles etwas langsamer angehen. In meinem Beruf geht das zwar nach wie vor nicht so ganz, aber ich schaffe mir dafür stets einen Ausgleich. So oft es geht mit meinen Kindern. Das ist wichtig. Denn Dauerstress macht krank. Da bin ich mir sicher!