Darmkrebs Arzt als Krebspatient: Ich wollte ganz besonders stark sein

Autor: MPL-Redaktion

„Es war ein Fehler, nicht über meine Ängste gesprochen zu haben." © iStock/FredFroese

Dr. Dieter F. aus Hannover erhielt vor sechs Jahren die Diagnose Darmkrebs. Dort, wo er vor rund 30 Jahren Medizin studierte, kehrte er zweieinhalb Jahrzehnte später als Patient zurück. Für ihn aus vielerlei Hinsicht ein seltsames Gefühl. Hier erzählt der Internist seine Geschichte.

Ehrlich gesagt muss ich eines zugeben: Ich hatte seinerzeit ganz schön Angst davor, was mit mir geschehen würde. Schuld daran war vor allem mein Halbwissen als Arzt. Ich bin kein Onkologe, wusste aber mehr über den Krebs als der Durchschnittspatient. Das war fatal.

Ich fühlte mich gesund

Ich achtete immer auf mich: ernährte mich ausgewogen, trieb regelmäßig Sport und trank unregelmäßig Alkohol. Rauchen war nie ein Thema. Ich fühlte mich Zeit meines Lebens gesund und fit. Und selbstverständlich ging ich als vorbildlicher Arzt mit Mitte 50 erstmals zur Darmkrebsvorsorge. Na ja, besonders wohl war mir nicht dabei. Schließlich wusste ich ziemlich genau, was auf mich zukam. Unter Kollegen sprachen wir scherzhaft von der großen Hafenrundfahrt: Der Gastroenterologe führt einen langen Schlauch in den Darm ein – fingerdick. Beim Vorgespräch ließ er mir die Wahl: Narkose oder das Ganze gemeinsam auf dem Bildschirm betrachten. Als interessierter Mediziner musste ich natürlich Letzteres wählen – andernfalls hätte ich mich ja blamiert!

Kamerafahrt mit Hindernis

Und dann lag ich da und versuchte meine Angst mit Fachfragen zu verbergen. Nach einer Minute war ich wider Erwarten entspannt. Die Kamerafahrt durch den Darm schmerzte nicht und war tatsächlich hochinteressant. Wer hätte das gedacht! Allenfalls der Weg durch die Darmwindungen war mit einem leichten Druck verbunden – so, als hätte man Blähungen. Aber das war kein Problem. Von meiner Erleichterung beflügelt, plante ich im weiteren Verlauf der Untersuchung ein nettes Abendessen mit meiner Frau bei unserem Lieblingsitaliener. Aber daraus wurde nichts. Die Kamerafahrt endete vor einer der besagten Darmwindungen. Es ging nicht voran. Das Endoskop ließ sich einfach nicht weiterschieben. Und die Versuche fügten mir Schmerzen zu. Etwas war im Weg – es handelte sich um einen Tumor.

Entrückte Tage

Die nachfolgenden Tage erlebte ich mehr oder weniger abwesend. Ich musste diverse Untersuchungen über mich ergehen lassen. Es ging darum, den Tumor genau zu bestimmen. Nachfolgend wollte man die Therapiestrategie festlegen. Ich hatte immer wieder Angst, rief viele Kollegen an, diskutierte, schlief vor seelischer Erschöpfung ein – war aber stets darauf bedacht, nach außen stark aufzutreten, vor allem vor meiner Frau. Schließlich kamen die Untersuchungsergebnisse. Mein Darmkrebs lag zwischen frühem und fortgeschrittenem Stadium. Aufgrund seiner Lage war er operabel. Folgeschäden befürchtete man nicht. Metastasen waren eher unwahrscheinlich, konnten aber nicht ausgeschlossen werden. Ich war einerseits erleichtert, denn es hätte ja deutlich schlimmer kommen können. Andererseits waren da eventuell noch diese Metastasen. Ein Wechselbad der Gefühle.

Ich fühlte mich hilflos

Die Operation sollte in der Medizinischen Hochschule Hannover erfolgen. Das war schon komisch. Obwohl ich ja im Großraum Hannover lebte und praktizierte, war ich ewig nicht mehr dort. Verändert hatte sich nicht viel. Menschenmassen. Unendliche Gänge, große Hallen und der vertraute Geruch. Ich dachte an die alten Zeiten. Als ich als junger Student die ganzen Koryphäen anhimmelte, ihnen nacheiferte – und vertraute. Das half mir. Ich wusste, hier wird man mir helfen, mich heilen. Ich suchte meine Abteilung und stellte mich zur Einweisung vor. Ich fühlte mich wie damals, als ich das erste Mal während des Studiums auf Station durfte – ziemlich hilflos. Die Schwester zeigte mir mein Einzelzimmer. Alles wie früher. Nur die Ausstattung war besser. In der Nacht vor der Operation schlief ich so gut wie gar nicht. Als man mich dann am nächsten Morgen in den OP schob, verspürte ich einen unerwarteten Motivationsschub. Ich erinnerte mich an meine ersten Erfahrungen in einem Operationssaal – und wie beeindruckt ich war von der Professionalität der Ärzte. Hier konnte mir nichts passieren!

Steht zu eurer Angst

Die OP verlief gut. Natürlich dauerte es anschließend mit dem normalen Stuhlgang eine ganze Weile. Aber das war mir egal. Viel wichtiger war die Prognose, die mir der behandelnde Onkologe gab. Bereits vor der noch anstehenden Chemotherapie schätzte er mein Rückfallrisiko als sehr gering ein. Ich freute mich darüber wie ein kleines Kind. Und ich beschloss, meine Ängste vor der Zukunft ab sofort zu begraben. Die Chemo wollte ich mit Bravour absolvieren. Wie seinerzeit mein Studium. Und das tat ich auch. Als alles vorbei war, lud ich meine Frau als Erstes zum Lieblingsitaliener ein. Da war ja noch was nachzuholen …! Ich habe selten so gut gegessen. Im Rückblick war die physische Belastung nicht schlimm – dank der modernen Technik und Medikamente. Meine Psyche bereitete mir jedoch Probleme. Immer diese Rest-Unsicherheit. Und es war ein Fehler, nicht über meine Ängste gesprochen zu haben. Schließlich geht es ja um das eigene Leben. Und auch ein Arzt ist nur ein Mensch. Heute gelte ich als geheilt. Habe großen Respekt vor dem Leben – und rufe allen zu, die sich gerade in einer ähnlichen Situation befinden: Steht zu eurer Angst – und sprecht darüber.