Selbsthilfe Gesprächen eröffnen Männern neue Lebensräume

Autor: Heiko Schwöbel

Früher kamen oft die Ehefrauen der Patienten in die Gruppe. © fotomek – stock.adobe.com

Hierzulande dominieren derzeit Frauen als Organisatorinnen, Aktive und Mitglieder in Selbsthilfegruppen. Dabei sind Männer ebenso von den Folgen und Lasten einer Krebserkrankung betroffen. Lesen Sie, wie sich Männer auf den Weg machen, Selbsthilfe zu organisieren und anderen helfen, die Folgen der Krankheit besser zu verarbeiten.

In den letzten Jahren war Selbsthilfe meist ein ausschließlich „weibliches“ Thema. „Zumindest was den ländlichen Raum betrifft, gab es vor 20 Jahren kaum Selbsthilfegruppen, und wenn, dann war fast kein Mann dabei“, sagt Evi Clus,Vorstand der Psychosozialen Krebsberatung Sigmaringen und Selbsthilfegruppenleiterin Gammertingen, Sigmaringen und Stetten am kalten Markt. „Ganz im Gegenteil: Oft sind die Ehefrauen der Krebspatienten in die Gruppe gekommen.“ Dort fanden sie Informationen, Anregungen und Gesellschaft, die den Umgang mit den Folgen der Krankheit leichter machten. „Ganz wichtig dabei ist, dass die Gespräche in der Gruppe neue Lebensräume eröffnen, die die Betroffenen allein nie oder erst sehr viel später gefunden hätten“, sagt die Expertin. „Der andere, oft neue Blick auf das Leben hilft, diese Räume lebendig werden zu lassen.“

Im zweiten Schritt

Erst nachdem die Frauen das Terrain ausgelotet und erste Anregungen mit nach Hause gebracht hatten, kamen auch die Herren in die Gruppen und suchten Rat und Hilfe in der Beratungsstelle. „Heute sind Männer sehr viel aktiver“, betont Evi Clus. „Und das ist auch gut so. Denn das gern zitierte ,starke Geschlecht‘ leidet unter den Folgen der Krankheit genauso. Auch sie müssen lernen, sich neu zu orientieren. Männer sind genauso gefordert, das Leben neu selbst anzupacken und anzunehmen.“

Dies gelingt besonders dann sehr gut, wenn Menschen mit dem gleichen Schicksal über ihre Erfahrungen sprechen. „Dabei ersetzt die Selbsthilfe nicht die professionelle Beratung eines Arztes oder Psychologen“, sagt Evi Clus. „Die Selbsthilfe schafft Vertrautheit – ohne dass dauernd über den Krebs, die Therapie und die Probleme gesprochen wird. Sie vermittelt durch die Teilnehmenden die Zuversicht, dass es einen neuen Weg im Leben gibt.“

Zufällige Begegnung

Alles ging sehr schnell – fast zu schnell. Kurz vor den ersten Coronabeschränkungen wird bei dem hundefänger krd – bürgerlich Karl Rudi Domidian – im Krankenhaus eine Darmkrebsdiagnose gestellt. Zwei Tage später ist er bereits operiert und kurz darauf startet die erste Chemotherapie. Zeit zum Nachdenken oder Einstellen auf die Behandlung und die Zeit danach bleibt keine. Unsicherheit und Verwirrung machen sich breit. Dann trifft hundefänger krd beim Besuch des Hausarztes zufällig auf die Psychosoziale Krebsberatungsstelle in Sigmaringen und macht spontan einen Beratungstermin aus.

Ein offenes Ohr

Zum ersten Mal kann hundefänger krd offen und ehrlich über die Krankheit, die Behandlung und die Folgen sprechen. Aber bei den reinen Fakten bleibt es nicht. „Eigentlich war es eine Lebensberatung“, sagt hundefänger krd. „Sie eröffnete neue Perspektiven, setzte Kräfte frei, die Krankheit anzunehmen und damit ganz neue Chancen und Risiken zu entdecken.“ Der erste Schritt dazu ist, dass hundefänger krd eine Reha macht und damit wieder zurück ins Leben findet. Heute hilft er anderen Krebspatienten, das Leben mit einer Krebserkrankung neu zu entdecken und zu erfüllen.

Kunst für Leben

Der freischaffende Künstler hundefänger krd macht fast sein ganzes Leben Kunst. Ohne Atelier, immer in und nur mit der Natur. „Die tatsächliche Arbeit in der Natur ist meine Kunst“, sagt hundefänger krd. „Die Fotografien davon sind Ergebnis dieser Kunst. Sie erzielen immer wieder Wirkung bei den Betrachtern: Sie beruhigen in schwierigen Situationen. Sie regen an, Neues entdecken zu wollen. Sie strahlen Friede und Zuversicht aus.“

Diese Kraft der Bilder nutzt inzwischen auch die Psychosoziale Krebsberatungsstelle in Sigmaringen. In den Beratungsräumen hängen Bilder von Karl Rudi Domidian alias hundefänger krd. Auf Wanderungen rund um Sigmaringen tauscht der Künstler gern seine Erfahrungen mit anderen Betroffenen aus. Er betont: „Seitdem ich die Krankheit bewusst angenommen habe, weiß ich, dass auch eine Chance in ihr steckt.“


Evi Clus, Vorstand der Psychosozialen Krebsberatung Sigmaringen und Selbsthilfegruppenleiterin Gammertingen, Sigmaringen und Stetten am kalten Markt © Privat