Krebsfolgen „Ich darf nicht sterben!“ – Es lohnt sich, zu kämpfen

Autor: Heiko Schwöbel

Mit 21 hat Anette Wenz den Kampf gegen den Krebs aufgenommen. Mittlerweile gibt die 50-Jährige Schminksemiare für Krebspatienten. (Agenturfoto) © iStock/xijian

Mit 21 Jahren erhält Annette Wenz die Diagnose chronische myeloische Leukämie. Die heiße Phase der Therapie dauert weit über ein Jahr, einen Großteil der Zeit muss sie im Krankenhaus verbringen. Auf dem 5. German Cancer Survivors Day erzählte die heute 50-Jährige, wie der Krebs ihre Einstellung zum Leben verändert hat.

Schon immer ist Annette Wenz eine rheinische Frohnatur. Ihr Motto ist von zwei Artikeln des rheinischen Grundgesetzes geprägt: erstens „Et kütt wie et kütt“ und zweitens „Et hätt noch immer jot jejange.“ Doch schon gleich nach der Diagnose wird ihr klar, es geht nicht immer alles gut. Ihr Mann verlässt augenblicklich Mutter und Kind. „Weil er nicht mit einer kranken Frau zusammen sein will, hat er mich verlassen“, erzählt sie. „Hinzu kommt, dass ich mit ihm über Jahre hinweg um jeden Cent Unterhalt kämpfen musste.“

Durch den Keller oder den Haupteingang?

Während des Krankenhausaufenthalts wird Annette Wenz eng und intensiv von ihrem Vater begleitet und unterstützt. Die Mutter jedoch hat es nie verwunden, dass sie ein krankes Kind hat. Sie besucht die junge Frau nicht ein einziges Mal. „Und das, obwohl es oft gar nicht gut um mich stand“, blickt sie zurück. „Ich hab mich damals oft gefragt, wie ich das Krankenhaus verlasse: Kellertüre oder Haupteingang?“

Damals gehen noch alle davon aus, dass, wenn die Behandlung gelingt und vorüber ist, Annette Wenz wieder völlig gesund wird. Sie könne sich dann um ihr Kind kümmern und wieder als Kosmetikerin arbeiten.

Der schmerzhafte Bruch

Doch auch in diesem Fall wird das rheinische Grundgesetz gebrochen. Annette Wenz kann nicht zur Arbeit. Sie ist nach der durchlittenen Krankheit und der fordernden Therapie immer noch zu schwach. Der Krebs und die Folgen der Behandlung schränken Annette Wenz so stark ein, dass sie zu 100 Prozent schwerbehindert ist und seit dem 25. Lebensjahr Erwerbsminderungsrente bezieht.

In dieser Zeit kommt es zum Bruch mit der Familie. Vater und Mutter haben kein Verständnis mehr für die junge Frau. Sie bezeichnen sie als Sozialschmarotzer – können die Krankheit nicht akzeptieren. Auch Gespräche mit den behandelnden Ärzten und Pflegern können die Position der Eltern nicht verändern. Nach vier Rückfällen geht es heute um den Erhalt der Lebensqualität, nicht mehr um Heilung.

Der Weg zum eigenen Schicksal

„Mit der Zeit habe ich zu kämpfen gelernt“, sagt ­Annette Wenz. „Um meine Gesundheit, für meinen Sohn, um Unterhalt für das Leben und für Leistungen von der Krankenkasse.“ In ihrer Patientenverfügung liest sich das so: „[…] Das hat mich sehr stark gemacht, das hat mich zu einer Kämpferin gemacht. Mein Kind habe ich alleine groß gezogen und auch für ihn habe ich oft gekämpft.

Ich lebe nun seit 30 Jahren mit meiner Erkrankung: einerseits empfinde ich für mein Leben große Dankbarkeit, habe mich dadurch viel mit dem Lebensende und meinen Ängsten, aber auch meinen Wünschen für mein Sterben auseinandergesetzt. Ich möchte einmal so aus dem Leben gehen, wie ich gelebt habe: Ich möchte die Kontrolle über Entscheidungen behalten, selbst bestimmen, wie ich aus dem Leben gehe und wann Leiden für mich nicht mehr tragbar ist.“

Dies ist eine Seite von Annette Wenz. „Die andere Seite ist, dass ich seit nunmehr über 30 Jahre hinweg ehrenamtlich Schminkseminare für Krebspatienten durchführe“, erzählt sie. „Das ist mein Beitrag, damit das Leben der Patienten ein Stück normaler wird.“