Darmkrebs Das Leben nach der Behandlung: Aufstehen, zurück ins normale Leben

Autor: MPL-Redaktion

„Die Rückkehr in das gewohnte Leben hat mir geholfen." (Agenturfoto) © iStock/laflor

Ursula S. aus dem niedersächsischen Salzgitter erkrankte vor drei Jahren an Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Die Therapie in der Medizinischen Hochschule Hannover verlief erfolgreich. Trotz der Schwere der Erkrankung entließ man sie mit einer relativ guten Prognose. Die Geschichte der 52-Jährigen zeigt, wie die Rückkehr in den Alltag aussehen kann, welche persönlichen Hürden zu nehmen sind und warum der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben helfen kann.

Ich wohnte während der Chemo- und Strahlentherapie bereits zu Hause. Die Behandlungen erfolgten ambulant. Es fühlte sich für mich aber nicht wie mein Zuhause an, denn die Therapien beanspruchten mich sehr. So lag ich andauernd im Bett und bemitleidete mich selbst.

Mein Mann und meine zwei Kinder halfen mir, wo es ging, dennoch nahm ich wenig am Familienleben teil. Ich fühlte mich nicht dazugehörig. Das war keine schöne Zeit.

Schnell zurück ins normale Leben

Am Tag des Therapieendes veränderte sich schlagartig alles. Ich atmete durch. Nun war ich wieder zu Hause, wollte mir das normale Leben so schnell wie möglich zurückholen.

Getragen von dieser Euphorie kehrten erste Kräfte zurück und mit ihnen mein Lebensmut. Doch dieser Energieschub war leider von kurzer Dauer, konnte er doch meine körperlichen Defizite nur zeitweise kompensieren. Ich hatte in den letzten Monaten, seit der Dia­gnosestellung, 19 Kilo abgenommen. Sicherlich tat mir das eine oder andere Kilo ganz gut, ich lag aber nun 15 Kilo unter meinem Idealgewicht.

Ich wollte zu viel

Kein Problem, dachte ich, schließlich gibt es Schlimmeres als Gewicht zuzulegen. Als leidenschaftliche Köchin und Restaurantbesucherin würde ich das mithilfe meines Lieblingsitalieners leicht schaffen. Mein Appetit, der während der Chemo quasi nicht mehr vorhanden war, stellte sich auch wieder ein.

Und so legte ich los, kochte Spaghetti Bolognese mit viel Parmesan. Es schmeckte mir, wenn auch anders als früher. Doch noch bevor ich meinen Teller aufessen konnte, verspürte ich einen starken Stuhldrang und schaffte es gerade noch rechtzeitig auf das Klo. Zudem wurde mir schlagartig übel.

Alles kam so wieder heraus, wie es reinkam. Wahrscheinlich war der Säuregehalt der Tomaten schuld an der Misere. Es zeigte sich jedoch, dass sich mein Darm auf die Veränderungen nach einer Operation noch nicht umgestellt hatte und infolgedessen sich meine normale Verdauung erst wieder regenerieren musste. Geduld war also gefragt. Ich durfte nicht zu viel erwarten.

Der Lieblingsitaliener musste warten

In den darauffolgenden Tagen probierte ich weiter Gerichte aus, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Meine Verdauung spielte meist nicht mit. Wobei ich nicht ergründen konnte, welche Art von Lebensmitteln mir bekamen und welche nicht. Weißbrot mit Käse funktionierte gut, und leicht gewürzte Hähnchenbrust mit Reis. Alles andere war schwierig.

Daher musste mein Lieblingsitaliener noch warten. Das frustrierte mich. Mein Arzt beruhigte mich. Erklärte mir, dass es ganz normal sei, gerade wenn einem ein so großes Stück Darm entfernt worden war. Er schickte mich auch zu einer Ernährungsberaterin. Sie half mir dabei, die ersten Kilos zuzulegen, denn nach einem Monat hatte ich das aus eigener Kraft nicht geschafft.

Insofern konnte ich auch keine Muskeln beziehungsweise Kraft aufbauen. Erst nach etwa einem halben Jahr verfügte ich wieder über eine verlässliche Verdauung. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade einmal fünf Kilo zugenommen. Doch dann ging es bergauf. Bis auf wenige Ausnahmen konnte ich fast alles essen. Nur zu stark gewürzte Speisen musste ich meiden. So legte ich weiter zu und konnte schließlich wieder mit Sport beginnen, wenn auch nur sehr behutsam.

Ein eingeschränkter Fokus

Die Ernährung war nur eine Hürde, die es in dieser Zeit zu nehmen galt. Eine weitere war die Rückkehr in den Alltag. Es hört sich komisch an, aber ich hatte anfangs große Probleme damit, Dinge zu tun, die sonst völlig normal waren. Zu sehr lag mein Fokus in den ersten Monaten auf meiner Nahrungsaufnahme, meinem Stuhlgang und der Verdauung.

Obwohl das nun keinesfalls tagesfüllende Tätigkeiten waren, überforderten mich Aufgaben im Haushalt sehr schnell. Ich war zwar körperlich schwach, hätte aber locker Wäsche waschen, Staub saugen oder Einkaufen gehen können. Stattdessen igelte ich mich ein und verließ mich auf meine liebe Familie.

Und meine Toilette sollte stets in der Nähe sein, so meinte ich. Nur das Kochen ließ ich mir nicht nehmen. Hier wollte ich nichts dem Zufall überlassen. Ich weiß rückblickend nicht, ob ich in dieser Phase in eine Depression gerutscht war. Zeitweise dachte ich daran, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Verwarf dies aber wieder, teils aus Scham, teils aus Trägheit.

Das war sicherlich ein Fehler. Erst als meine Verdauung wieder weitestgehend hergestellt war, kehrte ich in den Alltag zurück. Und dann waren da noch die anfangs sehr engmaschigen Nachsorgeuntersuchungen. Ich konnte Tage vorher nicht schlafen. Ich hatte Angst vor schlechten Nachrichten. Die Minuten vor der abschließenden Besprechung mit dem Arzt waren unerträglich, die anschließende Erleichterung hingegen unbeschreiblich.

Ich wollte die positiven Nachrichten jedes Mal feiern, wusste jedoch nicht wie: Alkohol vertrug ich überhaupt noch nicht, selbst heute ist mein Umgang mit ihm sehr zurückhaltend. Und schick Essengehen war aus den besagten Gründen auch nicht möglich, das ärgerte mich.

Der Tag, vor dem ich Angst hatte

So zogen die ersten Monate an mir vorbei, geprägt durch Angst, Selbstmitleid, Antriebslosigkeit und Unsicherheit. Auch der Einstieg in sportliche Aktivitäten half meiner Gemütslage nur wenig. Ich ging wieder Einkaufen, übernahm nach und nach Tätigkeiten im Haushalt und konnte meinen Lieblingsitaliener wieder besuchen.

Sicherlich hatte ich die Phase des Einigelns überstanden. Ich bekam Komplimente von den Nachbarn, hatte ich doch fast mein altes Gewicht erreicht und die Haare wuchsen auch wieder. So etwas baute mich zwar weiter auf. Und doch fehlte irgendwas Wesentliches.

Und dann kam der Tag, vor dem ich so große Angst hatte: Nach zehn Monaten sollte ich zu meiner Arbeitsstelle im Büro zurückkehren. Wie würden sich meine Kollegen verhalten? Was sollte ich ihnen sagen? Ich überlegte, mich weiter krankschreiben zu lassen. Doch mein Mann wirkte auf mich ein. Es würde mir sicherlich gut tun, meinte er. Und er hatte recht.

Rückblick

Rückbetrachtend hatte ich Vieles falsch gemacht: Selbstmitleid ist ein schlechter Begleiter nach einer solchen Krankheit – das weiß ich heute. Und einigeln kann ganz schnell zu einer Depression führen. Stattdessen muss man unentwegt an sich arbeiten, aufstehen und schnellstmöglich in das normale Leben zurückkehren – auch wenn's noch so schwer fällt. Es lohnt sich.

Nach zehn Monaten zurück im Job ein tolles Gefühl"

Es war, als wäre ich nie weggewesen. Die Begrüßung der Kollegen fiel recht kurz aus. Der eine oder andere fragte, wie es mir gehe, einige nicht. Ich war völlig auf mich alleine gestellt. Musste mich sofort zurecht finden. Das, vor dem ich Angst hatte, tat mir unheimlich gut. Jetzt merkte ich, dass ich wieder Mensch war. Dass man mich brauchte. Diese Art von Bestätigung, die kleinen Erfolgserlebnisse, die Aufgaben und Problemlösungen hatten mir offensichtlich gefehlt. Bereits nach drei Tagen Arbeit war ich wieder vollständig hergestellt: Körperlich noch etwas schwach, aber super glücklich.