Selbsthilfe Mit wem kann ich über die Krankheit reden?

Autor: MPL-Redaktion

Selbsthilfegruppen sind immer auch Experten in eigener Sache. © iStock/SDI Productions

Die Diagnose Krebs kommt meist völlig unerwartet. Für die meisten Betroffenen ist sie ein Schock – fehlt es doch an Erfahrung im Umgang mit der neuen Lebenssituation. Unzählige Fragen tauchen jetzt auf. Bei vielen Patienten überwiegt die Ungewissheit über die Zukunft. Wie man in diesem Augenblick Hilfe findet, zeigt unser Report.

Denn eines ist klar: In solchen Situationen benötigen Betroffene Hilfe. Zwei Expertinnen von der Niedersächsischen Krebsgesellschaft e. V. in Hannover, Dr. Bärbel Burmester und Annette Schmidt, sagen im Gespräch mit Perspektive LEBEN, worauf es jetzt ankommt.

„Selbsthilfe bedeutet Ermutigung für erkrankte Menschen zur Eigenaktivität, damit sie besser mit ihrer Krankheit umgehen können“, sagt Dr. Burmeister. „Oft sind Betroffene selbst die helfenden Menschen - wenn auch nicht ausschließlich.“ Allein in Niedersachsen gibt es rund 170 Krebsselbsthilfegruppen. Davon sind rund ein Drittel unabhängige Einzelgruppen. Der Rest gehört Landesverbänden an. Ähnlich sieht das für die anderen Bundesländer aus. Betroffene haben somit eine große Auswahl.

Besser in eine Gruppe – oder Einzelgespräche?

Hat ein Interessent Fragen, kann er in der Regel den Leiter der jeweiligen Gruppe ansprechen – ohne dafür selbst in die Gruppe gehen zu müssen. Sind seine Fragen weniger konkret, ist er aber grundsätzlich an einem Dialog rund um seine Erkrankung beziehungsweise Situation interessiert, bietet sich die Teilnahme an einer Gruppe an. „Hierbei kann er zu Beginn erst einmal schnuppern, nur zuhören und schauen, ob es ihm liegt. Ab einem gewissen Zeitpunkt erwartet die Gruppe dann aber auch die Teilnahme am offenen Dialog“, erzählt Dr. Burmester.

Der Unterschied zwischen dem Gespräch mit einem Gruppenleiter und dem innerhalb einer Gruppe liegt auf der Hand: Ein Gruppenleiter gibt eher fachliche Informationen zur Krankheit, die Gruppe hingegen spricht auch abseits der Erkrankung über den alltäglichen Umgang mit den unterschiedlichen Einschränkungen und psychischen Belastungen. Schmidt bringt das auf den Punkt: „Ich sehe Selbsthilfegruppen auch immer als Experten in eigener Sache. Denn Patienten, die lange schon mit der Krankheit leben, haben einfach andere und oft sehr praxisnahe Informationen parat - aus eigener Erfahrung.“

Betroffene sind wichtige Ratgeber

Mitglieder von Selbsthilfegruppen können von ihren konkreten Erfahrungen mit Ärzten berichten – selbst über den Arztwechsel bei Unzufriedenheit. Ein häufiges Thema ist auch der Umgang mit der Diagnose. Menschen, die das bereits erlebt und verarbeitet haben, können oft wertvolle Tipps geben – einfach erzählen, wie sie seinerzeit ihre Seele beruhigen konnten.

„Natürlich ist auch die Bewältigung der Therapie immer wieder ein zentrales Thema bei Patienten. Vor allem der praxisgerechte Umgang mit Nebenwirkungen. Auch hier liefern Selbsthilfegruppen oft sehr viele nützliche Antworten“, berichtet Dr. Burmester. So kommt es zu einem praxisnahen Austausch, den in dieser Qualität und Quantität meist nur Selbsthilfegruppen bieten.

Welche Gruppe passt zu mir?

Mittlerweile kennt die Medizin über 100 unterschiedliche Krebserkrankungen. Die meisten von ihnen kommen relativ selten vor. Selbsthilfegruppen gibt es in solchen Fällen mangels Masse oft nicht. Die gute Nachricht: Viele Selbsthilfegruppen sind offen für alle Erkrankungen. „Schaut man sich die Probleme und Fragen der Patienten an, die Selbsthilfegruppen aufsuchen, wird deutlich, dass es nicht nur um medizinische Themen rund um die spezifische Krebserkrankung geht“, weiß Schmidt. „Vielmehr werden oft Alltagsthemen besprochen.“

Typische Anliegen sind dabei auch belastende soziale Situationen. Solche Gruppen dienen so im Wesentlichen dem Informations- und Erfahrungsaustausch von Betroffenen und Angehörigen, der praktischen Lebenshilfe sowie der gegenseitigen emotionalen Unterstützung und Motivation. Die Gleichartigkeit der Erkrankung ist somit keine Grundvoraussetzung für einen nützlichen Dialog untereinander. „Medizinische Fragen werden zudem vor allem mit den behandelnden Ärzten besprochen“, ergänzt Schmidt.

Den richtigen Zeitpunkt für die Selbsthilfe bestimmen Betroffene übrigens selbst. „Ob bereits nach der Diagnosestellung, vor oder während der Therapie oder mit Beginn der Rehabilitationsphase, eine Empfehlung für die Inanspruchnahme externer Hilfe kann es nicht geben. Das merkt jeder selbst“, erläutert Dr. Burmester.

Psychoonkologen, Therapeuten oder Angehörige

Eine Gruppe ist nicht jedermanns Sache – sei es aus persönlichen, fachlichen oder anderen Gründen. Viele suchen dann gerne eine psychoonkologische Beratung auf. Bei den Beratern handelt es sich um Fachleute. Sie kennen sich mit sämtlichen Fragen rund um die Erkrankung aus, und zwar – anders als in einer Selbsthilfegruppe – aus der eher fachlich-professionellen Perspektive. Es handelt sich dabei meist um Sozialpädagogen oder Psychologen. „Unsere Hauptthemen sind sozialrechtliche Angelegenheiten, psychische Entlastung und die Vermittlung von Selbsthilfegruppen und Kliniken“, berichtet Schmidt.

Für Betroffene, die Alternativen zum formalen Expertengespräch suchen, gibt es ebenfalls Angebote. Die Niedersächsische Krebsgesellschaft e. V. bietet zum Beispiel verschiedene Projekte und Seminare mit Therapeuten an, wie Kunst- und Tanztherapie, sowie Seminare zur Krankheitsbewältigung. Über solche Aktivitäten kommen die Therapeuten mit den Patienten dann ins Gespräch.

Natürlich können auch Angehörige als gute Gesprächspartner für das Verarbeiten der Krebserkrankung dienen. „Allerdings erleben wir immer wieder, dass Angehörige nur bis zu einem gewissen Punkt beziehungsweise nur für eine gewisse Dauer hierzu geeignet sind. Denn auch sie sind belastet“, betont Schmidt und fügt hinzu: „Ab einem gewissen Zeitpunkt sind manche Angehörige aufgrund ihrer Verlustängste ausgebrannt. Und manchen anderen fehlt vielleicht das Verständnis, dass nach überstandener Therapie die Seele noch nicht unbedingt wieder gesund ist.“ Deshalb können manchmal Ansprechpartner, die nicht aus der Familie stammen, hilfreicher für Patienten sein.


Dr. Bärbel Burmester, Geschäftsstellenleiterin der Niedersächsischen Krebsgesellschaft e. V. in Hannover © privat
Annette Schmidt, Psychoonkologische Beratung bei der Niedersächsischen Krebsgesellschaft e. V. in Hannover © privat