Knochenkrebs "Es ist zauberhaft zu leben!"

Autor: Christoph Fasel

Zauberkünstler David Pricking ist nach seiner Krebserkrankung wieder im Spiel. © David Pricking

Er war ein begnadeter Mathematikstudent, Gedächtnisartist und Zauberlehrling. Dann, mit 23, bekam David Pricking plötzlich Krebs. Hier erfahren Sie, wie er sich wieder zurück ins Leben kämpfte. 

Am 12. Januar 1979 wird David Pricking in Tuttlingen geboren. Mit fünf Jahren beginnt er mit Tischtennis. Bald schon spielt er die ersten Turniere, später um die Deutsche Meisterschaft. Vier bis fünf Mal in der Woche trainiert er – für ihn keine Last, sondern Freude. „Der Leistungssport hat mir damals etwas beigebracht, was mir in der größten Krise meines Lebens wahrscheinlich sehr viel geholfen hat“, erinnert sich David Pricking heute. „Das Durchhalten!“ Zusätzlich interessiert er sich für Jonglage und Einradfahren.

Perfektionist mit Fingerspitzengefühl

Im Alter von 15 Jahren beginnt er mit der Zauberei. Ein Freund bringt ihm damals eine Video-Kassette mit. Darauf zu sehen ist eine Spielkarten-Illusion von David Copperfield. Beim Anschauen fällt Pricking auf, dass eine der Karten falsch liegt – „da war eine Dame, die da nicht hingehörte – und das hat mich ins Grübeln gebracht“, erzählt er. „Dann habe ich kurzerhand das Kunststück nachgebaut. Ich habe lange geübt, denn ich hatte ja nichts mit Zaubern am Hut!“ Aber David kann eines: trainieren. Und das tut er so lange, bis er Copperfields Nummer draufhat.
Später verfolgt er in Rottweil eine Vorstellung des Zauberers Topas, schon damals Weltmeister seiner Zunft. „Danach wusste ich, was Zaubern wirklich ist.“ Durch Topas erhält der junge David einen Gast-Zugang zum Stuttgarter Magischen Zirkel. 
Er studiert Mathematik, Physik und Informatik in Tübingen. Doch im 7. Semester wird sein Leben plötzlich ein anderes. „Ich habe immer noch Tischtennis gespielt“, erinnert sich Pricking. Nach einem Mannschaftsspieltag im Februar 2003 spürt er Schmerzen im Oberschenkel. Weil sie nicht nachlassen, geht er zum Arzt. Der glaubte zunächst an eine Zerrung oder einen Muskelfaserriss. Doch Prickings Bein wird zunehmend dünner, schmerzt auch weiterhin. Die Muskeln schrumpfen. Deshalb schickt man ihn zum Neurologen. Wöchentliche Besuche dort bringen jedoch keine neuen Erkenntnisse. 

Chemotherapie statt Diplom und Promotion

Sein Physiotherapeut empfiehlt dem jungen Mann, sich stationär einweisen zu lassen, um den Befund abzuklären. Mittlerweile ist es Mai. „Ich konnte mit meinem rechten Bein keine Treppenstufe mehr hochlaufen“, so der heute 44-Jährige. Als von seinem Becken eine Aufnahme gemacht wird, bemerken die Ärzte am Oberschenkel etwas Verdächtiges: einen 12 Zentimeter langen Tumor im Oberschenkelknochen. Das Ergebnis der Biopsie ist eindeutig: Es ist ein Osteosarkom –  Knochenkrebs. Pricking ist geschockt: „Ich war 23 Jahre alt, frisch verliebt, wollte gerade mein Diplom abschließen, dann promovieren – da brachen plötzlich meine Lebensträume wie ein Kartenhaus in sich zusammen!“
Ein Knochenkrebs wie dieser birgt immer die Gefahr der Metastasierung. Deshalb bekommt der Student eine sehr hochdosierte neoadjuvante Chemotherapie. Sie soll mögliche Metastasen zerstören und dafür sorgen, dass der Tumor kleiner wird. Das Problem: Das Krebsgeschwür wird nicht kleiner. Stattdessen bringt die Chemo Mund- und Magenschleimhautentzündungen sowie viele weitere Probleme mit sich. 
Durch die hohe Dosierung ist die Behandlung nur stationär möglich. Insgesamt verbringt David Pricking 298 Tage in der Klinik. Sein Fazit: „Sowas hält man besser durch, wenn man eine starke Konstitution mitbringt.“ Als Leistungssportler tut er das.
Anfang August wird nach 13 Wochen Behandlung operiert. Ein Lichtblick: Der Tumor hat nicht die tiefe Beinvene befallen, so dass das Bein nicht abgenommen werden muss. Eine Prothese aus einer Knochenspende wird eingebaut. „Ich hatte damit viel Glück!“ sagt Pricking. Nach der Operation geht es mit Chemotherapie weiter, bis er schließlich Anfang März 2004 in die Reha entlassen wird.
Während dieser Behandlungen behält der junge Mann stets seinen Mut: „Ich habe im Krankenhaus immer wieder für andere Patienten gezaubert“, erzählt er. „Denn ich wusste: Alle die, die dort sind, für die geht es um Leben und Tod. Und wenn du dann ihr Lachen und Staunen siehst, denkst du: In den letzten zehn Minuten haben diese Menschen nicht an ihre Krankheit gedacht. Und das hat mir, wenn sie sich freuen, ganz viel Kraft zurückgegeben!“ 

Mit der Reha zurück ins Leben

Pricking leidet jedoch auch nach der Reha weiter unter Schmerzen im Bein. Seine Enttäuschung ist groß. Er ist seinem Ziel, wieder laufen zu können, wegen der Schmerzen nicht nähergekommen. Erst eine weitere Operation im Oktober 2004, bei der unter anderem eine Schiefstellung des Beines korrigiert wird, bringt den erhofften Erfolg. „Danach bin ich wieder in eine Reha und jetzt konnte ich trainieren. Ich wollte endlich wieder laufen können“, sagt Pricking. 
Jetzt zeigt der Leistungssportler, was an Ausdauer und Willen in ihm steckt. Sechs Jahre läuft er auf zwei Krücken durchs Leben, weitere drei Jahre noch auf einer. Er fährt Fahrrad und bleibt so mobil. Als genesener Krebs-Patient genießt er das Leben von Neuem. Seither ist es für ihn „einfach zauberhaft!“ 
Er beendet sein Mathematik-Diplom mit Auszeichnung, absolviert ein Referendariat, arbeitet weiter an seiner Magierkarriere – und wird schließlich mit einem besonderen Titel belohnt: Mit einem Kunststück, in das er 5000 Stunden Zeit investiert hat, wird Pricking 2015 bei den WM der Zauberkünstler in Rimini Vizeweltmeister. Ein happy End zum Staunen – ohne Tricks doppelten Boden.