Onkologie Standardtherapien bald Vergangenheit

Autor: Bianca Lorenz

Tiefer analysieren – individueller therapieren. © dusanpetkovic1 – stock.adobe.com

Eine Krebsbehandlung für alle – dieses Modell hat ausgedient. Denn jeder Tumor ist so individuell wie der Mensch, in dem er wächst. Gleich mehrere Therapien zielen darauf ab und erhöhen die Chance auf Heilung.

Operation, Chemotherapie, Bestrahlung – diese Schlagwörter bestimmten lange den Therapiekanon im Kampf gegen eine Krebserkrankung. Gleichwohl fielen die Ergebnisse dieser Behandlung höchst unterschiedlich aus. Wissenschaftler wollten wissen, warum und fanden so immer mehr Gründe dafür. Ein wichtiger neuer Ansatz ist die Immuntherapie. Sie zielt darauf ab, die Antwort des Abwehrsystems noch genauer auf die Art der Krebszellen auszurichten.

Der Hintergrund: Unser Immunsystem ist darauf programmiert, Krankheitserreger, Viren und Bakterien als solche zu erkennen und abzustoßen, während er körpereigene Gewebe und Zellen maximal geschont.

„Bei der Immuntherapie versucht man diese Fähigkeit des Immunsystems besser zu nutzen und gegen die eigene Tumorerkrankung zu richten“, erklärt Prof. Dirk Jäger, Geschäftsführender Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, auf dem 17. Heidelberger KrebsPatiententag. „T-Lymphozyten sind in der Lage, eine Tumorzelle als solche zu erkennen und mit dieser Zelle relativ kurzen Prozess zu machen. Diese T-Zellen haften sich an die Tumorzelle an und senden Stoffe aus, die dazu führen, dass die Tumorzelle kollabiert und stirbt. Diese Fähigkeit versuchen wir, therapeutisch besser zu nutzen.“

T-Zellen beeinflussen oder umprogrammieren

So können diese Abwehrzellen dank spezifischer Rezeptoren bestimmte Eiweiße einer Krebszelle erkennen – ähnlich dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Diesen Mechanismus kann man verstärken, indem man den Patient:innen bestimmte Antikörper gibt. Prof. Jäger: „Diese so genannten Checkpoint-Inhibitoren, die solche T-Zellen zusätzlich aktivieren und scharf machen, erzeugen eine deutlich bessere Immunantwort. Dadurch können wir bestimmte Erkrankungen wesentlich effektiver behandeln.“

Bei zellbasierten Therapien fischt man Patient:innen-eigene Immunzellen aus dem Blut heraus, vermehrt und aktiviert sie. Bei der CAR-T- und der TCR-T Therapie programmiert man die zuvor aus dem Blut gewonnen T-Zellen um, bevor man sie dem Patienten wieder per Infusion verabreicht. Bei der „TIL-Therapie“ wird eine bereits bestehende Immunantwort verstärkt, indem man TIL-Zellen aus dem Tumor entnimmt, im Labor vermehrt und der Patient:in anschließend wieder zuführt. All das kann dazu führen, dass der Tumor aufhört zu wachsen oder sich zurückbildet.

Diese Zelltherapien sind bereits für Leukämien und chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) zugelassen und gelten hier als sehr effektiv.

Blick in die Zukunft

In Zukunft werden Impfverfahren bei der Krebsbehandlung eingesetzt, deren Prinzip es ist, neue Immunantworten bei Patient:innen hervorzurufen. Hier versprechen sich Wissenschaftler:innen viel von der auch bei der Corona-Impfung verwendeten mRNA-Technologie. Damit wird es möglich sein, dass Patient:innen ihre für sie passenden Medikamente im Körper selbst herstellen.

Mit dem größeren Verständnis der Tumorbiologie und Immunologie wird es aber auch gelingen, neue Medikamente für einzelne Patient:innen zu designen. Ebenso wird es möglich sein, immer mehr Immunzellen genetisch zu verändern und daraus individuelle und intelligente Therapien abzuleiten. Deren Verläufe könne man, so Prof. Jäger dann an Computern simulieren und mithilfe komplexer Diagnostikplattformen auswerten.

Nicht zuletzt wird das bessere Verständnis des Darmbioms bei der Krebstherapie künftig eine größere Rolle spielen, da im Darm 80 % der Abwehrprozesse des Immunsystems stattfinden und 70 % der Immunzellen sitzen. All das erfordere ein Umdenken. Standardtherapien gehörten bald der Vergangenheit an, prognostiziert Prof. Jäger und fordert: „Wir dürfen nicht mehr basierend auf einer sehr minimalen Information von Patienten therapeutische Rückschlüsse ziehen. Wir müssen sehr viel tiefer analysieren.“

Sein Tipp: Wer schon jetzt von neuen Verfahren setzen möchte, kann an klinischen Studien teilnehmen. Hier werden Substanzen erforscht, die es offiziell noch nicht gibt. Statistisch gesehen würden die Proband:innen länger überleben als ohne eine Studienteilnahme.

Quelle: 17. Heidelberger KrebsPatiententag am 2. April 2022