Hilfe für die Seele Psychoonkologie bei Lungenkrebs – das war‘s noch nicht!

Autor: Heiko Schwöbel

Jeder Patient mit einer Krebsdiagnose hat ein Anrecht auf eine psychoonkologische Betreuung. © Volodymyr, lassedesignen – stock.adobe.com

Lungenkrebs wird meist per Zufall und recht spät entdeckt. Daher werden Patienten oft mit sehr belastenden Behandlungen und schlechten Prognosen konfrontiert. Lesen Sie in Perspektive LEBEN, wie Psychoonkologen neue Wege aufzeigen und Hilfestellung geben können.

Mario H., 45 Jahre alt, aus Esslingen am Neckar, hat schon vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört, läuft immer wieder Gewaltmärsche mit 100 Kilometern in 24 Stunden und fühlt sich topfit. Wegen einer lästigen Erkältung geht er zum Arzt, der zur Sicherheit auch die Lunge intensiver untersucht. „Ich hab mir am Anfang überhaupt nichts dabei gedacht“, sagt Mario H. „Ich hatte ja wieder einen langen Marsch geplant und war schon in der Vorbereitung darauf.“

Dann kommt der Schock. Im Krankenhaus erhält er die Diagnose Lungenkrebs. Er wird ganz konkret mit seinem Tod konfrontiert. Die Welt in ihm und um ihn herum bricht zusammen. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Er hat riesige Angst. Plötzlich wollen Ärzte und Pfleger bestimmen, was und wie etwas zu tun ist. „Das habe ich als Kontrollverlust empfunden“, erzählt Mario. „Das wollte ich nicht akzeptieren und wurde sicherlich auch unfreundlich und ruppig in manchen Situationen.“

Auf Anzeichen achten

„So ein Verhalten erleben wir immer wieder bei Krebspatienten, die plötzlich mit einer schwerwiegenden Erkrankung konfrontiert werden“, sagt Dr. Tanja Zimmermann, Professorin für Psychosomatik und Psychotherapie mit Schwerpunkt Transplantationsmedizin und Onkologie. „Dies zeigt uns, dass die Betroffenen unter einer enormen Belastung stehen, die sie zunächst nicht gut bewältigen können.“

Andere Anzeichen für eine zu große Belastung sind zum Beispiel übertriebene Gleichgültigkeit oder Traurigkeit. „Mit entsprechenden Tests und in Gesprächen versuchen Ärzte und Pfleger, Patienten mit starken psychosozialen Belastungen zu finden und auf die Hilfe durch die Psychoonkologen hinzuweisen“, sagt Prof. Zimmermann. „Dass dies wichtig und richtig ist, zeigen Studien eindeutig: Etwa jeder dritte Patient ist seelisch so stark belastet, dass er Unterstützung von Psychoonkologen benötigt.“

Miteinander sprechen

Im Kern sind zwei Zeitabschnitte betroffen: Was wird in der verbleibenden Zeit geschehen und was kommt danach? „In unseren Gesprächen versuchen wir, diese Abschnitte mit Leben zu füllen und so den Schrecken davor zu vermindern“, sagt Prof. Zimmermann. Patienten und Angehörige lernen in der Beratung, darüber zu sprechen, was zu tun ist, wo und wie sie Kraft schöpfen können und was für die Zeit danach von Bedeutung ist. Dabei entsteht Klarheit, Sicherheit und Freiheit, wenn zum Beispiel vom Patienten der Wunsch geäußert wird: „Ich will, dass du nach meinem Tod wieder einen Partner hast und Kinder bekommst.“

Schon vor etwa 220 Jahren beschreibt Heinrich von Kleist in seinem Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ den Umstand, dass Probleme oft gemindert werden können, wenn sie mit einem anderen besprochen werden. „Das eröffnet Perspektiven und schärft den Blick für das Wesentliche“, sagt Prof. Zimmermann. „Patienten können so wichtige Dinge anpacken und erledigen.“

Aktiv werden

Die Leitlinien zur Krebsbehandlung und Zertifizierungsbedingungen onkologischer Zentren schreiben die psychoonkologische Versorgung in den Krankenhäusern zwingend vor. Jeder Krebspatient hat damit ein Recht auf die Unterstützung durch einen Psychoonkologen. „Daher rate ich jedem Patienten oder Angehörigen, der eine zu große Belastung empfindet, das Gespräch mit dem Psychoonkologen im Krankenhaus zu fordern“, sagt Prof. Zimmermann. „Untersuchungen zeigen, dass die psychoonkologische Versorgung im stationären Bereich inzwischen meist sehr gut funktioniert.“

Nach der Behandlung und Rehabilitation sind viele Patienten weiter auf die Hilfe durch Psychoonkologen angewiesen. „Besonders im ländlichen Raum können die wenigen spezialisierten Therapeuten die Anfragen von Patienten und Angehörigen oft nicht bewältigen“, betont sie. „Daher ermutige ich die niedergelassenen Psychologen und Psychiater, auch onkologische Patienten mit psychischen Störungen zu behandeln.“ Um die ambulante Versorgung zu verbessern, sollten auch Patienten immer wieder bei den Krankenkassen um Unterstützung fragen, Politiker auf das Thema zusätzlicher psychoonkologischer Beratung ansprechen und in Selbsthilfegruppen aktiv werden.


Prof. Dr. Tanja Zimmermann, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover © Privat