Nach der Therapie Prognosen - Wie gut können wir in die Zukunft sehen?

Autor: MPL-Redaktion

Kaum etwas ist so schwer zu ertragen wie Unsicherheit. © iStock/AscentXmedia

Nach Diagno­se und Behandlung von Krebs stellt sich meist die Frage: Wie geht es nun weiter? Mit neuen Prognosefaktoren wollen Ärzte und Patienten diese Frage beantworten – und die Zukunft besser einschätzen.

Die schlechte Nachricht vorweg: „Auch mit den besten Prognosefaktoren können wir den genauen Krankheitsverlauf des einzelnen Patienten nicht genau vorhersagen“, sagt Dr. Susanne Briest, Leiterin des Brustzen­trums der Universitätsklinik in Leipzig. Die gute Nachricht aber ist: „Wir können die Tendenz mittlerweile schon sehr gut abschätzen.“ Wie Prognosefaktoren für Krebspatienten ermittelt werden, lässt sich am Beispiel von Wetterprognosen zeigen. Meteorologen beobachten seit Jahrzehnten das Wetter. Aus den Aufzeichnungen kennen die Wissenschaftler das Wetter, die Jahreszeit, die Temperatur, das Wolkenbild, den Luftdruck, die Luftfeuchtigkeit und so weiter zu fast jedem Zeitpunkt ganz genau. Und aus Beobachtungen heraus wissen die Wissenschaftler auch, wie sich das Wetter dann bislang in den nächsten 24 Stunden entwickelt hat.

Aus der Vergangenheit in die Zukunft

Um nun zu einer Prognose zu kommen, müssen die Meteorologen nur schauen, wie das Wetter jetzt ist – also die Daten von heute betrachten. Dann suchen sie nach vergleichbaren Situationen in den Wetterbeobachtungen der Vergangenheit und das dann dazugehörige tatsächliche Wetter nach 24 Stunden nach der Beobachtung. Schon ist die Prognose, sprich die Wettervorhersage für morgen, fertig: In unserem Beispiel würde es in 10 Prozent der Fälle regnen, in 30 Prozent der Fälle wäre der Himmel bewölkt und in 60 Prozent dürfte die Sonne scheinen. Ganz ähnlich gehen Mediziner vor, wenn sie Prognosen abgeben. Sie suchen nach Besonderheiten, die den Verlauf der Krankheit vorhersagen, den sogenannten Prognosefaktoren. Dies sind zum Beispiel das Alter und der Allgemeinzustand. Aber auch die Tumorgröße, -anzahl und -form, der Befall von Lymphknoten und Metastasen. Natürlich werden auch die pathologischen Befunde und Vorerkrankungen mit erfasst und berücksichtigt. Ganz besonders konzentrieren sich die Forscher auf typische Veränderungen auf und in den Zellen des Tumors.

Insgesamt gilt: Je genauer die Informationen sind und je mehr einzelne Fälle über große Zeiträume beobachtet und beschrieben werden, umso genauer werden auch die Prognosen. „Und das ist wichtig für die Patienten“, so Dr. Briest, „denn je genauer wir den Verlauf der Krankheit vorhersehen können, umso genauer kann die Behandlung auf den Patienten ausgerichtet werden.“ Daher sind viele Ärzte und Forscher immer auf der Suche nach neuen und noch besseren Prognosefaktoren. Aber es bleiben dennoch statistische Prognosen, den tatsächlichen Verlauf der Krankheit kann niemand vorhersagen.

Auf Behandlungen verzichten

„Wir sind heute schon sehr gut in der Lage, über den Einsatz einer Chemotherapie bei Brustkrebs zu entscheiden“, sagt Dr. Briest. Denn in bestimmten Fällen ist die Wahrscheinlichkeit, wieder einen Krebs zu bekommen, so gering, dass eine Chemotherapie vor oder nach der Operation den Frauen keinen Vorteil bringt. „Dieser Fortschritt konnte nur mit den immer besseren Differenzierungen der Tumoren erreicht werden“, betont die Wissenschaftlerin. „Wir können nun vielen Frauen die zum Teil gravierenden Nebenwirkungen einer Chemotherapie ersparen.“

Ähnliches gilt für den Prostatakrebs. Der Prognosefaktor PSA-Wert kann ein guter Anzeiger für die Aggressivität des Krebses sein. Ist der PSA-Wert niedrig und steigt dieser nur sehr langsam an, wird der Krebs wahrscheinlich nur langsam wachsen und höchstwahrscheinlich keine Metastasen verursachen. Patienten werden dann nicht oder sehr viel später behandelt. Auch dies ist ein echter Vorteil. Denn die bisherige Lebensqualität der Patienten bleibt meist vollständig erhalten.

Wie Prognosen funktionieren

Die Basis einer Prognose bilden stets Tatsachen. Diese Tatsachen werden durch Messungen oder durch die Zusammenstellung von Erfahrungen aus Beobachtungen gewonnen. Auf diesem Fundament können nun mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit Voraussagen ausgesprochen und Entscheidungen getroffen werden. Begründbares Erfahrungs­wissen und seine Auslegung gehören also zu den anerkannten Methoden der Prognose.

Volle Konzentration

Ständig teilen sich Zellen in unserem Körper. Sogenannte Wachstumsfaktoren regen die Zellen an, sich zu teilen. Diese Faktoren müssen sich an bestimmten Stellen der Zellen anlagern, um das Wachstumssignal auszulösen. Ärzte sprechen dann von Rezeptoren. Werden diese Rezeptoren mit Wachstumsfaktoren besetzt, kommt eine Signalkette im Zellinneren in Gang: Die Zelle teilt sich. Auf gesunden und normalen Körperzellen ist der sogenannte HER2-Rezeptor für die normale Zellteilung verantwortlich – auch im Brustgewebe. Aber bei ungefähr 20 Prozent aller Patienten mit Brustkrebs sind diese Rezeptoren bis zu hundertmal häufiger auf der Zell­oberfläche der Tumorzellen vorhanden. Dieser Umstand weist darauf hin, dass die Tumoren sehr viel schneller wachsen und die Krankheit meist rascher voranschreitet. „Dies ist ein deutliches Signal“, sagt Dr. Briest. „Betroffene Frauen werden dann besonders konsequent und rasch behandelt.“

Prognosefaktoren liefern heute wichtige Hinweise im Kampf gegen den Krebs. Die individuelle Behandlung kann damit immer genauer und gezielter auf die Erkrankung abgestimmt werden. Für Betroffene bedeutet dies oft eine große Entlastung, weil das Risiko einer erneuten Erkrankung verringert werden kann. „Die bessere Differenzierung der Tumoren gestattet eine deutlich verbesserte Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf“, sagt Dr. Briest.


Dr. Susanne Briest; Leiterin des Brustzentrums der Universitätsklinik in Leipzig © privat