Körpergefühl Mit Körper und Seele versöhnen

Autor: Christoph Fasel

Der veränderte Körper verändert auch das Selbstbild. © BillionPhotos.com ‒ stock.adobe.com

Häufig leiden Menschen, die eine Krebskrankheit durchstanden haben, nach der Therapie unter der nach außen sichtbaren Veränderung ihres Körpers. Sie fragen sich: „Bin ich das noch?“ Psycho-Onkologin Anne Bach vom Universitätsklinikum Tübingen erklärt, wie sie ihnen helfen kann.

Welche Rolle spielt für einen Geheilten die Veränderung seines Körpers durch die Behandlung – etwa durch sichtbare Narben oder Amputationen der Brust?

Anne Bach: Eine große. Diese Auseinandersetzungen begegnen mir in der Praxis immer wieder. Allerdings sind die Auswirkungen für die Betroffenen höchst unterschiedlich.

Woran liegt das?

Anne Bach: An der Schwere des Eingriffes, an der Sichtbarkeit der Folgen – und natürlich an der individuellen Haltung der Betroffenen. Es gibt Fälle, in denen körperliche Veränderungen eine große Rolle spielen – und andere, in denen das keine Auswirkungen hat.

Können Sie uns dazu ein Beispiel nennen?

Anne Bach: Der Haarverlust unter einer Chemotherapie ist sicherlich ein bekanntes Beispiel. Noch vor einem Jahrzehnt haben die meisten Frauen versucht, dieses Symptom der Behandlung durch Perücken oder andere Hilfsmittel in der Öffentlichkeit zu verschleiern. Diese Einstellung hat sich glücklicherweise geändert. Bei den Patientinnen selbst wie auch in der Öffentlichkeit sieht man diese Nebenwirkung einer Chemotherapie nicht mehr als negativ an, sondern als Zeichen: Diese Therapie wirkt. Sie hilft mir, gesund zu werden. Jedoch ist und bleibt es für manche Patientinnen deshalb schwierig, weil sie sich quasi outen müssen – auch wenn sie das gar nicht wollen. Für manche ist das eine positive Entwicklung – denn sie lernen, sich offensiv mit der Erkrankung und ihren Folgen auseinanderzusetzen. Für verschlossenere Charaktere wiederum kann das schwierig sein.

Sie sagen, da hat sich mit den letzten Jahren etwas verändert. Woran stellen sie das als Psycho-Onkologin fest?

Anne Bach: Ich habe das Gefühl, dass die Menschen offener geworden sind. Das liegt auch daran, dass die Heilungschancen bei vielen Erkrankungsarten stark gestiegen sind. Heute muss sich niemand mehr seine wegen der Therapie verlorenen Haare verstecken oder diese kaschieren. Doch darin sind die Menschen ganz unterschiedlich. Manche sagen: Die Haare sind nur Nebensache. Hauptsache, ich werde wieder gesund. Für andere wiederum sind Haare etwas sehr Wichtiges. Viele Menschen, die ihr Leben lang lange Haare hatten, identifizieren sich und ihre Persönlichkeit stark damit – und dann kann es schon durchaus in der Chemotherapie zu der Frage kommen: „Bin das noch ich?“

Wird eine Brustamputation als schwerwiegender empfunden als eine Narbe am Bein?

Anne Bach: Ja, diese Unterschiede sind ein wichtiges Thema. Vor allem muss man unterscheiden zwischen Veränderungen, die nur temporär sind und damit reversibel – und einem endgültigen Abschied von einem Körperteil wie bei einer Amputation. Haare wachsen irgendwann wieder nach. Bei Amputationen hingegen weiß man: Mein Körper wird nie mehr so wie vorher.

Wie können Sie diesen Betroffenen helfen?

Anne Bach: Wenn Erkrankte wissen, dass es zu einer Amputation kommen wird, dann ist es gut, wenn sie sich schon vorher Hilfe und Unterstützung suchen. Dann gibt es die Chance, dass sie bewusst Abschied nehmen und sich bewusst auf ihren neuen Körper nach der Operation einstellen können. Wir als Unterstützende fragen, ob sie diesen Weg gehen wollen und sich zum Beispiel noch von ihrer Brust verabschieden wollen. Das kann in einem kleinen Ritual geschehen, das man gemeinsam begeht. Die Erfahrung der Psycho-Onkologie zeigt: Betroffene, die diesen Weg bewusst und begleitet gehen, verkraften die Operation besser. Bei Brust-Amputationen sehen wir die Patientinnen häufig vorher: Da kann man dann im Vorhinein miteinander an die Arbeit am eigenen Körper und an der Selbstwahrnehmung gehen. 

Was passiert, wenn Betroffene ihren veränderten Körper generell ablehnen?

Anne Bach: Wenn sich Betroffene der Auseinandersetzung mit ihrem Körper entziehen, können belastende Symptome die Folge sein wie etwa Panikattacken. Diese sind meist ein Zeichen solcher Verdrängung, nicht aber der Auslöser. Es kann weiterhin sein, dass man durch den veränderten Körper so belastet ist, dass sich das Selbstbild verändert. Ein Beispiel: Durch die Amputation einer Brust kann es sein, dass eine Frau sich nun nicht mehr begehrenswert findet. Dadurch kann es in der Partnerschaft zu Belastungen kommen.

Wie kann die Psycho-Onkologie mithelfen, die Patient:innen wieder mit ihrem Körper zu versöhnen?

Anne Bach: Durch Gesprächstherapie, durch Methoden der Gestalttherapie, durch das gemeinsame Erarbeiten weiterer Möglichkeiten, die vielleicht im Augenblick von den Betroffenen noch gar nicht bewusst wahrgenommen worden sind. Ein Beispiel ist die Möglichkeit des Brustaufbaus nach einer Amputation nach Brustkrebs – sei es mit Implantaten, sei es mit Eigengewebe. Allein eine solche Option kann Frauen helfen, wieder mehrere Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und sich nicht als ausgeliefert zu betrachten. Denn schon die Aussicht, eine Wahl zu haben, kann Betroffenen helfen, wieder Mut und Zuversicht zu gewinnen. Übrigens: Viele Patientinnen, die vor der Amputation unbedingt eine Rekonstruktion machen wollten, brauchen das plötzlich nicht mehr – wenn sie sich in Ruhe mit ihrem neuen Körper auseinandergesetzt haben.

Mit welchen Fragen werden Sie in der Psycho-Onkologie in diesem Zusammenhang häufig konfrontiert?

Anne Bach: Wir haben hier im Institut dazu aktuell eine Umfrage unter Betroffenen gemacht. Neben der Scheu, sich mit dem veränderten Körper zu beschäftigen, ist ein großes Thema die Angst davor, dass die Erkrankung wieder auftritt oder fortschreitet. Das ist ein wichtiges Thema, weil man ja über Jahre hinweg immer wieder in die Nachsorge geht. Das bringt jedes Mal Ängste und Aufregung mit sich. Ein weiteres großes Thema: die Fatigue. Die Schwierigkeit besteht hier darin, dass die chronische Müdigkeit und Erschöpfung medizinisch nicht genau erfasst werden können. Für manche der Erkrankten ist es deshalb schwierig, ernst genommen zu werden.

Bei manchen Krebserkrankungen leiden durch die Behandlung auch Funktionen des Körpers. Wie kann hier die Psycho-Onkologie helfen?

Anne Bach: Auch da ist unsere Hilfe besonders gefragt. So kann eine Brust- oder Prostatakrebs-Behandlung die Sexualität und Intimität nach einer Krebserkrankung deutlich verändern. So können Libido und Potenz sich verändern. Wir müssen in einem solchen Fall stets mit beiden Partnern zusammenarbeiten, um einen neuen Weg für die persönliche Begegnung zu ebnen. Das gelingt uns deshalb recht gut, weil wir für die Betroffenen quasi neutrale Personen sind, bei denen man alles ansprechen darf.