Psychoonkologie Nach der Krebsdiagnose: Auch der Schock gehört zur Bewältigung

Autor: MPL-Redaktion

Die Brücke zwischen Diagnose und Heilung: Der Schock gehört zur Bewältigung der Krankheit dazu. © songdech17 – stock.adobe.com

Nach traumatischen Ereignissen soll uns ein Schock vor schlimmen Überreaktionen schützen. Das ist ganz normal. Auch nach einer Krebsdiagnose ist ein Schock nichts Unnatürliches. Er ist vielmehr der Anfang einer Auseinandersetzung mit der Krankheit, mit dem Patienten in das normale Leben zurückfinden können.

Vor ein paar Wochen hat der Frauenarzt von Sabine F. aus Frankfurt einen Knoten in der rechten Brust ertastet. Inzwischen hat sie alle Untersuchungen hinter sich. Sie ist Anfang vierzig. Ihre Kinder sind acht und sechs Jahre alt. Nervös und angespannt wartet sie auf die Diagnose.

„Schon während der Untersuchungen haben wir im Krankenhaus gespürt, dass die Situation Sabine F. stark belastet“, sagt Diplom-Psychologin Claudia Gutmann, Leiterin der Psychoonkologie am Markus Krankenhaus in Frankfurt/Main. „Deshalb hat mich der Arzt gebeten, an diesem Diagnosegespräch teilzunehmen.“ Und das ist auch gut so.

Der Arzt teilt der jungen Frau mit, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Er führt weiter aus, dass es sich um einen langsam wachsenden und sehr gut behandelbaren Krebs handelt. Die Psychologin spürt aber, dass sie diese eigentlich beruhigenden Informationen überhaupt nicht wahrnimmt. Die Psychologin unterbricht das Gespräch radikal. Sie fragt Sabine F. „Wo sind Sie gerade mit Ihren Gedanken?“

Den Schock überwinden

„Was soll aus Lena und Louis werden? Sie brauchen mich doch!“, antwortet die Mutter geistesabwesend. Langsam kommt sie wieder in das Arztgespräch zurück. Nachdem sie über ihre Familie gesprochen hat und ihre Sorgen los wurde, kann sich Sabine F. wieder auf die Erklärungen des Arztes konzentrieren. Sie versteht nun, dass ihre Krebserkrankung ernst ist, aber glücklicherweise auch sehr gut zu beherrschen.

Klar wird an diesem Fallbeispiel: Das Diagnosegespräch wäre ohne diese psychologische Intervention letztlich nutzlos gewesen. Denn Sabine F. hätte das Krankenhaus einzig und allein mit der von ihr wahrgenommenen Information verlassen: Ich habe Krebs! Der Schock hätte lange wirken können. So hat sie die Dia­gnose verstanden. Und mit dem hoffnungsvollen Blick auf den Behandlungspfad hat sie die Sicherheit gewonnen, dass sie sich bald wieder um ihre Kinder kümmern kann.

Der Blick nach innen ist wichtig

Vor und nach einer Krebsdiagnose kann der Schock kontrolliert oder vermieden werden. Dazu braucht es den Blick ins eigene Innere. „Die Kernfrage ist: Was ist mein Problem mit dieser Diagnose?“, sagt Gutmann. „Haben die Patienten Antworten auf diese Frage, fällt ihnen die Einordnung von Chancen und Risiken der Erkrankung viel leichter.“

Weitere Fragen können sein: Was löst eine solche Diagnose bei mir aus? Welche Sorgen habe ich damit? Was brauche ich, wenn die Diagnose positiv ist? Welche Schritte muss ich gehen? „Dies ist im Übrigen auch eine gute Vorbereitung für Kontrolluntersuchungen nach der Akutbehandlung“, fügt Gutmann an.

Sich helfen lassen

Partner, Freunde, Ärzte und Psychologen, alle können helfen, sich auf die Diagnose vorzubereiten und den Schock zu bewältigen. „Machen Sie sich bewusst, was Sie selbst wollen“, rät Gutmann. „Sie bestimmen das als Patient am besten ganz für sich alleine.“ Dem einen helfen genaue Informationen über die Erkrankung und Therapie, den Schock zu überwinden. Die anderen wollen vor allem die Sicherheit, in guten Händen zu sein. Was genau gemacht wird, ist ihnen egal.

„Wir raten dringend dazu, eine vertraute Person zur Diagnosebesprechung mitzunehmen“, sagt Gutmann. „Aber achten Sie darauf, dass Begleitung auch wirklich eine Stütze ist.“ Verwandte sind das oft nicht. Sie können nämlich von der Krankheit ebenso sehr stark betroffen sein. Ist das der Fall, dann besteht die Gefahr, dass die gleichen Schockreaktionen auftreten können wie beim Patienten.

Hilfe von außen? Der Einzelfall entscheidet

Ob und welche Hilfe von außen nötig ist, kann nicht pauschal gesagt werden. Die Krankheit wird immer zwischen den beiden Polen der totalen Vermeidung und der totalen Konfrontation bewältigt.

Typische Anzeichen einer zu starken Vermeidungshaltung können zum Beispiel aufgeschobene Nachsorgetermine sein oder die Weigerung des Patienten, weiter Medikamente zu nehmen. Eine zu starke Konfrontation liegt dagegen zum Beispiel dann vor, wenn selbst Kindergeburtstage nicht gefeiert werden können, weil in den kommenden Wochen ein Kontrolltermin angesetzt ist. In Schocksituationen tendieren Patienten zum einen oder anderen Pol. „Das ist ganz normal“, bemerkt Gutmann. „Wird die Balance nach einer gewissen Zeit aber nicht wiedergefunden, raten wir sehr dazu, einen Psychoonkologen hinzuzuziehen.“


Diplom-Psychologin Claudia Gutmann, Leiterin der Psychoonkologie am Markus Krankenhaus in Frankfurt/Main © privat
Familie und Freunde können eine Stütze sein. © WavebreakmediaMicro – stock.adobe.com