Darmkrebs Ein Arzt als Krebspatient: „Mein Halbwissen stand mir im Weg!“

Autor: MPL-Redaktion

Eine Krebsbehandlung ist manchmal ein langer Weg. Doch es lohnt sich, stets den Mut zu behalten – und Geduld zu bewahren. © iStock/Alexander Fattal

Andreas M. arbeitet als Unfallchirurg an einem Krankenhaus in Hannover. Vor sieben Jahren erkrankte er an Enddarmkrebs. Zu diesem Zeitpunkt war er Mitte vierzig. In Perspektive LEBEN berichtet er von der Zeit vor der Diagnose bis zu seiner Genesung – und was ihm vor allem dabei half, wieder gesund zu werden.

Ich war damals sehr fit – machte seit 10 Jahren fast täglich Sport. Ich achtete zudem einigermaßen auf meine Ernährung und konnte so meinen Bauch gut in Schach halten. Mein Körpergefühl war ausgezeichnet. Bahnte sich ein Schnupfen an, so spürte ich das bereits, bevor die Nase lief.

Etwas stimmte nicht mit mir

Im Herbst 2008 war es allerdings anders. Seit Wochen umschlich mich ein Gefühl der Mattheit. Anfangs schrieb ich das dem Wetterwechsel zu. Doch dann gab es immer mehr Anzeichen, dass mit mir etwas nicht stimmte. Neben einer zunehmenden körperlichen Schwäche wurde ich immer blasser. Meine sportliche Leistung sank ebenfalls merklich von Woche zu Woche. Irgendwann bemerkte ich Unregelmäßigkeiten bei meiner Verdauung. Mein Stuhl war selten noch normal, entweder zu weich oder zu fest. Hinzu kamen Bauchschmerzen – etwas, das ich gar nicht kannte, hatte ich doch einen sehr robusten Magen. Obwohl alles darauf hindeutete, dass ich an etwas erkrankt war, schob ich es auf meinen Arbeitsstress und das schlechte Wetter. Es wird schon wieder besser werden, dachte ich. Für einen Mediziner war das wahrlich keine adäquate Haltung. Völlig bescheuert, kann man auch sagen! Und das merkte ich in den darauffolgenden Wochen. Nichts verbesserte sich! Im Gegenteil: Ich wurde immer schwächer. An manchen Tagen war jedoch mein Stuhlgang in Ordnung. Daran zog ich mich hoch. So lange, bis ich eines Morgens Blut im Stuhl hatte!

Es kam ganz anders als gedacht

Das war ein unglaublicher Schock für mich! Natürlich hatte ich in den Wochen zuvor immer auch einmal an einen erkrankten Darm gedacht, an Entzündungen – und für den Bruchteil einer Sekunde auch mal an Krebs! Ich meldete mich sofort krank und ging zu einem Gastroenterologen.

Ich schilderte ihm meine Geschichte und er empfahl mir, sofort eine Darmspiegelung durchführen zu lassen. Das geschah bereits zwei Tage später. Ich konnte mir aussuchen, ob mit oder ohne Anästhesie. Normalerweise hätte ich den Schlaf gewählt. Obwohl Unfallchirurg, gehöre ich bei Eingriffen an meinem eigenen Körper nicht zu den Mutigsten. Ich war jedoch viel zu neugierig und ungeduldig, wollte ich doch möglichst schnell die befreiende Diagnose Reizdarm oder Ähnliches hören. Es kam dann leider anders.

Ein Tumor lag im Weg

Die Darmspiegelung ging viel schneller vorbei, als mir lieb war. Grund: Der Gastroenterologe musste bereits nach kurzer Zeit die Untersuchung stoppen. Ihm lag ein großes Geschwür im Enddarm im Wege. Auch ich erkannte es sofort auf dem Monitor. Es war so raumgreifend, dass ich mich wunderte, wie ich überhaupt noch Stuhlgang haben konnte. Er nahm eine Gewebeprobe und zog den Schlauch wieder heraus. Mir wurde vor Aufregung ganz schlecht. Gleichzeitig dachte ich zum ersten Mal klar: Das ist ein Darmtumor. Ich habe Krebs!

Ich fuhr nach Hause. Meine Gedanken kreisten nur noch um ein Thema: Werde ich das überleben – und was wird aus meiner Familie? Meine Frau konnte mich etwas aufbauen. Wir sprachen lange über die bevorstehenden Wochen. Und vor allem über die nachfolgenden Untersuchungen. Erst sie würden zeigen, um welche Art Tumor es sich handelte.

Seine ersten Worte werde ich niemals vergessen

Gleich am nächsten Tag wurde ich in die medizinische Hochschule in Hannover eingewiesen. Das Vorgespräch mit dem Onkologen beruhigte mich ein wenig. Er machte auf mich einen sehr abgeklärten Eindruck. Und er hängte meine Erkrankung bei Weitem nicht so hoch, wie ich das tat. Danach erfolgten viele Untersuchungen. Hauptsächlich wollte man die genaue Größe und die Ausbreitung des Tumors feststellen. Die Schlüsselfrage dabei lautete: Gibt es bereits Metastasen? Von den Ergebnissen hing mein weiteres Schicksal ab – das war mir klar.

Der Tumor musste erst geschrumpft werden

Die Zeit bis zur nächsten Besprechung war die schlimmste, zu viele Fragen waren noch ungeklärt. Ich konnte an nichts anderes denken als an meine Krankheit. Chemotherapie, Haarausfall, Tod – um diese Punkte kreisten meine Gedanken in dieser Phase.

Als dann die Tür aufging und der behandelnde Arzt hereinkam, explodierte die Angst in mir. Gleichzeitig war ich hoch konzentriert. Seine ersten Worte werde ich niemals vergessen: „Ich kann Sie etwas beruhigen. Wir haben keine Absiedlungen gefunden. Das ist gut. Der Tumor ist allerdings recht groß, nämlich sieben Zentimeter. Das ist nicht so gut.“ Ich war vorerst erleichtert. Ich wusste zwar, dass die nächsten Monate kein Spaziergang werden würden. Aber ich war körperlich fit und von Natur aus ein Kämpfer. Ich erkundigte mich nach der bevorstehenden Operation. Die Antwort war jedoch enttäuschend. Denn die Op. sollte erst in einigen Monaten erfolgen. Beginnen wollte man mit einer Radio-Chemotherapie. Sie sollte dafür sorgen, dass der Tumor schrumpft, um ihn anschließend besser operieren zu können! Das hatte ich nicht erwartet. Nach meinem kurzen Stimmungshoch folgte gleich das nächste Tief. Ich konnte mich nicht damit abfinden, dass der Tumor, dem ich bei der Reise durch meinen Darm begegnete, dort noch länger bleiben durfte. Schließlich gehört er ja nicht zu mir! Ich fing sogar an, mit den Ärzten diesbezüglich zu verhandeln – ob es nicht auch die Therapieoption mit Op. zu Beginn gäbe. Das war natürlich Unsinn. Und ich fand mich schließlich damit ab.

Die größte Belastung war die psychische

Die Radio-Chemotherapie steckte ich gut weg. Nach sechs Wochen zeigte die Kontrolluntersuchung: Der Tumor war kleiner! Vier Wochen später wurde ich operiert. Danach hatte ich eine Zeit lang einen künstlichen Darmausgang. Das war ungewohnt, belastete mich aber eher wenig. Denn meine Ärzte prognostizierten mir Gutes: Nach ihren Aussagen verlief alles besser als erwartet. Sie gingen davon aus, alles erwischt zu haben beziehungsweise dass kein Restgewebe mehr zurückgeblieben sei. Meine Stimmung war euphorisch. Ich würde wieder gesund werden!

Und so kam es auch. Das kann ich heute – nach sieben Jahren ohne Rückfall – zumindest behaupten. Ich gehe natürlich regelmäßig zur Nachsorge, ansonsten bin ich jedoch fit. Ich treibe auch wieder Sport, fast jeden Tag. Zurückblickend lässt sich sagen, die größte Belastung war die psychische! Hierbei hätte ich professionelle Hilfe benötigt. Alleine ist das schwer zu schaffen. Wenngleich meine Partnerin sicherlich eine große Hilfe war – so wusste ich doch als Arzt, dass ihre gut gemeinten Worte nicht auf Erfahrungen mit der Krankheit beruhten.

Apropos Arzt: Meine Ausbildung half mir bei der Bewältigung der Diagnose und der darauffolgenden Zeit nicht. Wahrscheinlich wirkte sie sogar kontraproduktiv, meinte ich doch vieles deuten zu können. Wie sich herausstellte, oftmals falsch. Da ich keine onkologische Ausbildung habe, stellte sich mein medizinisches Wissen im Nachhinein als gefährliches Halbwissen heraus. Also dann lieber gar kein Wissen als eines, das einen ständig auf die falsche Fährte bringt – mit der anschließenden Enttäuschung.