Leitlinien Lungenkrebs: Wie eine Leitlinie entsteht

Autor: Perspektive LEBEN

Leitlinien garantieren die beste Behandlung für jeden Patienten. © iStock/Visivasnc, iconeer

Befasst man sich mit dem Thema Krebstherapie, begegnet einem schnell und immer wieder der Begriff Leitlinie. Doch was genau ist eigentlich eine Leitlinie? Wer erstellt sie? Und wie hilft das bei der Behandlung von Patienten? Fragen, die Professor Dr. Dieter Ukena klärt. Er ist in Deutschland federführend bei der Erstellung von Leitlinien im Bereich Lungenkrebs. Als Chefarzt leitet er zugleich die Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin am Klinikum Bremen-Ost.

Vor mehr als zehn Jahren startete die Deutsche Krebsgesellschaft gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, kurz AWMF, und der Deutschen Krebshilfe das Leitlinienprogramm Onkologie. Die drei Organisationen setzten sich zum Ziel, die Entwicklung, Fortschreibung und den Einsatz praktikabler Leitlinien in der Onkologie zu fördern und zu unterstützen.

Experten sprechen miteinander

„Eine Lungenkrebs-Leitlinie beschreibt die auf dem aktuellen Wissensstand beruhenden Erkenntnisse aller an der Behandlung von Lungenkrebs beteiligten Fachexperten“, lautet die Definition von Prof. Ukena, der ergänzend betont: „Diese Erklärung gilt grundsätzlich für alle Krebserkrankungen.“

Leitlinien: Was bedeuten die Zahlen?

Leitlinien sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung. Sie entstehen auf der Grundlage von Forschungsergebnissen und werden regelmäßig aktualisiert. Dabei gibt es verschiedene Entwicklungsstufen, die in S1, S2 und S3 unterteilt sind:

Während eine S1-Leitlinie lediglich die gemeinsame Meinung einer Expertengruppe wiedergibt, wird für eine S3-Leitlinie eine große Zahl wissenschaftlicher Studien detailliert ausgewertet und hinsichtlich ihrer Relevanz und Qualität eingeschätzt. Ein wichtiges Kriterium für die Formulierung von Leitlinien-Empfehlungen ist dabei die „Evidenz“: Evidenzbasierte Medizin kombiniert die Ergebnisse systematischer Forschung mit der klinischen Expertise, d.h. mit Erfahrungen aus der Praxis. Auch Präferenzen der Patienten können in Leitlinien berücksichtigt werden.

Bei einer Lungenkrebs-Therapie sind unabhängig von der Schwere der Erkrankung stets Experten verschiedener Fachrichtungen beteiligt. Dazu gehören unter anderen beispielsweise Onkologen, Chirurgen, Strahlenmediziner oder Radiologen. Aufgrund ihrer gemachten Erfahrungen mit den unterschiedlichen Behandlungsoptionen sind sie in der Lage, diese kritisch zu bewerten. „Dazu setzen wir uns regelmäßig an einen Tisch, diskutieren und formulieren Empfehlungen mit dem Ziel, die Erkrankung immer besser therapieren zu können“, erläutert Prof. Ukena. Auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse beziehungsweise medizinische Forschungsergebnisse fließen in die Betrachtung ein.

Individualität des Patienten berücksichtigen

Ist eine Leitlinie letztlich erstellt, dient sie als Entscheidungshilfe für alle behandelnden Fachgruppen und Patienten zur optimalen Vorgehensweise bei Gesundheitsproblemen. „Die definierten Behandlungsstandards innerhalb einer Leitlinie müssen jedoch nicht starr angewendet werden. Sie ist als Behandlungskorridor zu verstehen, in dem sich der Mediziner bewegen soll. Es muss stets die Individualität des Patienten berücksichtigt werden“, stellt Prof. Ukena fest und führt aus: „Es gibt beispielsweise Patienten mit Zusatzerkrankungen, bei denen die empfohlenen Medikamente kontraproduktiv wirken würden. Hier wählen wir dann eine abweichende Therapie.“

Drei Gesellschaften – ein gemeinsames Ziel

Sämtliche Leitlinien müssen natürlich einheitlich erfasst und niedergeschrieben werden. Federführend ist dabei die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Sie ist der deutsche Dachverband von 177 Fachgesellschaften der Medizin und koordiniert die Entwicklung von medizinischen Leitlinien für Diagnostik und Therapie durch die einzelnen Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. „Diese Interdisziplinarität ist die Stärke der Leitlinien. Alle für die Behandlung der Krankheit relevanten Disziplinen werden hinzugezogen. Das stellt eine optimale beziehungsweise umfassende Behandlung sicher“, sagt Prof. Ukena.

Zertifizierte Qualität

Ausführendes Organ ist die Deutsche Krebsgesellschaft. Ihr Ziel ist es, die Entstehung von onkologischen Zentren, die diese Leitlinien anwenden, zu fördern und somit die Versorgung von Krebspatienten zu verbessern. Überprüft und gesteuert werden solche Zen­tren mittels eines Zertifizierungssystems. Das übernimmt OnkoZert. Ein unabhängiges Institut, das im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft das Zertifizierungssystem zur Überprüfung von Organkrebszentren und Onkologischen Zentren gemäß den entsprechenden fachlichen Anforderungen betreut.

„All das kostet Geld. Die entsprechende Förderung beziehungsweise Finanzierung übernimmt die Deutsche Krebshilfe. Bei ihr stellen wir unsere Anträge und sie muss diese bewilligen“, sagt Prof. Ukena. „Am Ende entstehen in Deutschland immer mehr zertifizierte Krebszentren. Patienten können sicher sein, dass sie hier nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen behandelt werden.“


Prof. Dr. Dieter Ukena, Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin am Klinikum Bremen-Ost © Privat