Psychoonkologie Lernen, der Angst vor der Nachsorge zu begegnen

Autor: MPL-Redaktion

Viele Sorgen und Fragen können Patienten plagen. Psychologische Hilfe kann sie entlasten. © iStock/Bastian Weltjen

Die Diagnose, die Behandlungen und die Rehabilitation bei Krebs – alles ist gut gegangen. Aber eine bange Frage bleibt. Was bringt die nächste Nachsorgeuntersuchung? Lesen Sie, wie Sie sich und Ihre Angehörigen gut auf diese Termine vorbereiten können.

Krebserkrankungen sind ernste Diagnosen. Sie müssen auch nach einer erfolgreichen Behandlung gut und regelmäßig in Nachsorgeterminen beobachtet werden. Der Rhythmus dieser Termine ist so gewählt, dass sie den Patienten so wenig wie möglich belasten, aber so gut wie möglich schützen. Auch Petra K. aus Calw, 38 Jahre alt, verheiratet und zwei Kinder mit 6 und 10 Jahren, musste zu einem Nachsorgetermin. Die vorangegangene Brustkrebsbehandlung war ein halbes Jahr zuvor erfolgreich abgeschlossen. Die Chemotherapie, die Operation und die Bestrahlung hat die junge Frau mit einigen Beschwerden, aber doch gut überstanden.

Im ersten Nachsorgetermin sind die Befunde völlig unauffällig und sehr ermutigend. Doch dann passiert es, der Arzt sagt: „Das müssen wir beobachten ...“ Der Arzt fügt noch hinzu, dass es sich wahrscheinlich um eine ganz harmlose Kalkablagerung handelt, die er lieber im Auge behält. Aber das hört Petra K. nicht mehr. Fatal für die Frau und ihre Familie.

Angst: Fluch und Segen

„Schon Monate vor dem nächsten Nachsorgetermin ist Petra K. völlig von der Angst vor einem ernsten Befund in Beschlag genommen“, berichtet Johanna Ringwald, Psychoonkologin in der Psychosomatik am Universitätsklinikum Tübingen. „Die Angst ist so stark, dass die Patientin keiner Arbeit mehr nachgehen kann. Sie kann sich kaum noch um die Kinder kümmern und traut sich nur noch selten, aus dem Haus zu gehen.“ Ihre Gedanken kreisen nur noch um diesen einen nächsten Nachsorgetermin und seine möglichen Folgen.

Der Hausarzt empfiehlt Petra K., professionelle Hilfe aufzusuchen. Petra K. entschließt sich, in die Uniklinik nach Tübingen zu gehen, wo sie auch schon behandelt wurde. „Im ersten Schritt haben wir das Selbstvertrauen wieder aufgebaut“, sagt Johanna Ringwald. Schon im ersten Gespräch wird gemeinsam festgestellt, dass es sicherlich eine schwierige, aber keineswegs hoffnungslose Situation ist. „Warum? Ganz einfach! Wir halten schriftlich fest, dass alles Mögliche getan wurde“, betont die Therapeutin. „Schritt für Schritt, von der Vorsorge bis zur Nachsorge. Jede Therapieoption, die Chemo, die Op., die Bestrahlung, alles wurde gemacht … Jedes aufgeschriebene Detail gibt dabei der Patientin ein bisschen mehr Sicherheit und Vertrauen.“

Im nächsten Schritt wird dann über die Angst vor dem Wiederauftreten sowie vor der Zukunft und ihre Wirkungen gesprochen. „Dabei hilft mir der Säbelzahntiger“, sagt Johanna Ringwald. „Ein Urmensch hatte unglaublich Angst vor einem Säbelzahntiger. Trafen sie aufeinander, blieb dem Menschen nur, zu kämpfen oder wegzurennen.“ Bei Menschen in der Nachsorge nach einer Krebsbehandlung ist der Kampf schon geführt. Sie haben den Schock der Diagnose, die Therapien und die Rehabilitation schon hinter sich gelassen. Sie können aber auch nicht wegrennen. Die Nachsorge ist zu wichtig. Also muss die Angst kontrolliert, aber nicht bekämpft werden. „Das ist ganz wichtig“, betont ­Johanna Ringwald. „Denn ohne Angst würden die Patienten nach einer erfolgreichen Krebstherapie keine Nachsorge betreiben. Also schützt die Angst diese Menschen.“ Sie darf aber nicht die alleinige Macht gewinnen.

Der individuelle Notfallkoffer

Meist steigt die Angst vor den Nachsorgeterminen langsam, aber sicher in einem auf. Der Blick in den Kalender: Noch vier Wochen, dann ist es wieder so weit. Oder die Planung des Urlaubs: Soll ich vorher oder nachher gehen? Den Urlaub noch mal genießen – oder wird der gesamte Urlaub verdorben? Oder auch schlicht, dass man ein neues Rezept braucht und dabei der Nachsorgetermin wieder ins Bewusstsein rückt. Kurzum, es gibt viele Anlässe, an den lästigen Termin zu denken.

„Deshalb fordere ich meine Patienten gerne auf, einen Notfallkoffer zu packen, um die Angst zu bändigen“, sagt Johanna Ringwald. „Und das meine ich auch ganz praktisch: ein Koffer, eine Schatulle oder schöne Schachtel.“ Dieser Koffer wird dann zuerst in Gedanken gepackt. Später, zu Hause, soll dieser Koffer dann mit echten Gegenständen und Notizzetteln gepackt werden. Diese Gegenstände sind Symbole für Momente und Begegnungen, die gutgetan haben, ablenken oder uns an angenehme Aktivitäten erinnern. Typische Gegenstände, die in einen solchen Notfallkoffer gehören, sind:

  • Erinnerungsstücke, beispielsweise Postkarten oder Bilder aus dem Urlaub 
  • Hilfreiche Sprüche, Gedanken, Briefe und Wünsche
  • Gartenliebhaber packen zum Beispiel eine Gartenzeitschrift ein
  • Unterhaltsame Literatur wie der neueste Bestseller oder ein Magazin
  • Telefonnummern von Menschen, die immer angerufen werden können
  • Eine CD mit der Lieblingsmusik
  • Ein Mitbringsel von den täglichen Spaziergängen

Auch Anleitungen, um die Gedanken weg von der Angst und in eine andere Richtung zu bringen, können im Patienten-Notfallkoffer landen:

  • Fünf-Dinge-Übung. Bei dieser Übung werden je fünf Dinge aufgeschrieben, die gesehen, gehört, gerochen und gespürt werden, danach werden vier Dinge, drei Dinge, zwei Dinge und zuletzt nur ein Ding, was jetzt in diesem Moment gesehen, gehört, gerochen und gespürt wird, aufgeschrieben.
  • Ein Verzeichnis mit echten und lustigen Zungenbrechern
  • Das Spiel „Stadt, Land, Fluss“ oder ein Sudoku oder Kreuzworträtsel

Immer dann, wenn die Angst in den Anfängen spürbar ist, wird der Koffer zur Hand genommen und ein Gegenstand herausgenommen, mit dem sich der Patient jetzt intensiv beschäftigen will. „Unser Ziel dabei ist, dass der Patient von der Angst abgelenkt wird, weil er sich mit schönen oder anderen Dingen intensiv beschäftigt“, sagt Johanna Ringwald. Petra K. hat den Koffer gepackt und die Beschäftigung mit ihren Gegenständen hilft, die Angst zu bewältigen und in gesunde Bahnen zu lenken. Für Patienten, bei denen die Angst einen zu großen Raum einnimmt, können der Hausarzt, die Krebsberatungsstelle, die Selbsthilfegruppe oder das Behandlungszentrum Anlaufstellen nennen, an die sich Betroffene oder Angehörige wenden können. Auch unter www.krebsinformationsdienst.de sind wichtige Anlaufstellen verzeichnet.


Johanna Ringwald; Psychoonkologin in der Psychosomatik am Universitätsklinikum Tübingen © privat