Hirntumoren Gliome: Diagnose- und Behandlungsmethoden

Autor: Jonathan Fasel

„Bei keinem anderen Tumor ist es so wichtig, auf Bruchteile von Millimetern genau zu arbeiten." © iStock/walrusmail

Etwa zwei Drittel der diagnostizierten primären Hirntumoren sind gutartig. Unter den bösartigen kommen am häufigsten die sogenannten Gliome vor. Diagnose und Behandlung sind komplex.

Die Diagnose eines Glioms muss möglichst genau sein: Tumorgröße und seine genaue Lage stellen wichtige Informationen für die anschließende Behandlungsplanung dar. „Schließlich operieren wir in einem hochsensiblen Umfeld. Die Herausforderung ist stets, funktionstragendes Hirngewebe möglichst zu erhalten und gleichzeitig maximal viel Tumorgewebe zu entfernen“, sagt der Experte Professor Dr. Hartmut Vatter. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Bonn.

Ermitteln, wo der Tumor liegt

In einem ersten Schritt erfassen Radiologen den Tumor bildlich. Das geschieht mittels Magnetresonanztomographie, kurz MRT. Mit diesem Verfahren, das auch als Kernspintomographie bezeichnet wird, lassen sich Schichtbilder vom Körperinneren erzeugen. Weil es auf einem starken Magnetfeld und Radiowellen basiert, gibt es für den Patienten keine Strahlenbelastung. „Das MRT zeigt uns genau, wo der Tumor liegt, wie er sich ausgebreitet hat und wie gut er sich operieren lässt. Auch können wir erste Rückschlüsse auf Art und Aggressivität des Tumors ziehen“, erklärt Prof. Vatter.

Gewebe gewinnen

Zur Bestätigung dieser ersten Erkenntnisse wird nachfolgend noch Tumorgewebe entnommen. Nur so kann zweifelsfrei die genaue Tumorart ergründet werden. Die Experten bedienen sich hierzu der sogenannten stereotaktischen Biopsie, einem minimal-invasiven Verfahren. Das bedeutet, sie entnehmen über eine wenige Millimeter messende Schädeleröffnung mit einer dünnen Nadel eine kleine Tumorprobe.

Der Ort der Biopsie wird anhand der Bildgebung des MRT millimetergenau geplant. „Wir stellen so sicher, keine Hirnstrukturen zu verletzen. Der Eingriff dauert nur einige Minuten und kann sowohl in Vollnarkose als auch in örtlicher Betäubung durchgeführt werden“, erläutert Prof. Vatter.

Zeigen die MRT-Bilder hingegen, dass Lage und Ausdehnung des Tumors eine relativ risikoarme Operation zulassen, sehen die Ärzte auch von einer Biopsie ab. „Die Behandlung mit der besten Prognose ist stets die vollständige Entfernung des Tumors. Gibt es hierfür eine gute Chance, verzichten wir auf die vorherige Gewebeprobe und operieren sofort“, erklärt der Neurochirurg.

Nervenbahnen schonen

Hirnoperationen werden immer minimal-invasiv und mithilfe eines Operationsmikroskopes durchgeführt. Zudem verwenden die Chirurgen Neuro-Navigationsgeräte, mit denen sie sich die MRT-Bilder im OP-Feld anzeigen lassen können. Diese OP-Techniken erlauben eine optimale Entfernung des Tumors und schonen gleichzeitig das gesunde Gehirngewebe. „Allerdings besteht in den meisten Fällen ein mehr oder minder großes Risiko, das gesunde beziehungsweise funktionstragende Hirngewebe zu beschädigen“, gibt Prof. ­Vatter zu bedenken. „Die Herausforderung ist daher meist, die richtige Balance zwischen einer radikalen Tumorentfernung und einem maximalen Funktionserhalt des Gehirns zu finden. Es gilt also, möglichst keine Nervenbahnen zu verletzen.“

Das Glioblastom

Das Glioblastom wird im medizinischen Fachjargon als „Glioblastoma multiforme“ bezeichnet. Dieser Hirntumor ist der häufigste bösartige Tumor bei Erwachsenen. Das Glioblastom weist in seinem Aufbau Ähnlichkeiten mit den Gliazellen des Gehirns auf, woher es seinen Namen bezieht. Die Behandlung besteht aktuell in erster Linie in der operativen Entfernung des Tumors, zudem in Bestrahlung und Chemotherapie. Eine endgültige Heilung kann derzeit nicht erreicht werden.

Sichtbarkeit schaffen

Die wichtigsten Nervenbahnen im Gehirn sind die Pyramidenbahn, die für Arm- und Beinmotorik zuständig ist, ferner die Sehbahn für das Gesichtsfeld und die Vernetzung der verschiedenen Sprachzentren. Um ihre Eingriffe genauer und damit sicherer verlaufen zu lassen, nutzen die Chirurgen begleitende Verfahren. „Mit dem MRT-Fibertracking senken wir das Risiko einer Nervenbahnschädigung. Die Methode macht Lage und Verlauf der Nervenbahnen sichtbar“, so Prof. Vatter. „Auch können wir dem Patienten einen speziellen Farbstoff verabreichen, der auf der Aminosäure 5-ALA basiert. Er färbt das Tumorgewebe rot und verbessert so die Resektionsbedingungen.“ Noch während des Eingriffs kann zusätzlich eine intraoperative Kernspintomographie durchgeführt werden. Der Chirurg sieht anhand der MRT-Bilder, ob Tumorreste zurückgeblieben sind, und kann diese zielgenau entfernen.

Sprechen während der OP

Darüber hinaus verfügen die Mediziner über moderne Methoden, um den Funktionserhalt des Hirngewebes sicherzustellen. Sie setzen – ebenfalls intraoperativ – eine elektrische Stimulation des Gehirnes ein. Sie kontrollieren damit während der Operation, ob die Motorik oder die Sensibilität des Patienten gefährdet ist, und schonen so die funktionstragenden Areale. Eine Ausnahme für die Einsatzbereiche der elektrischen Stimulation bildet der Bereich der Sprachregionen. „Patienten mit Tumoren in diesen Hirnregionen operieren wir wach. Das geht pro­blemlos, da das Gehirn keinen Schmerz empfindet“, stellt Prof. Vatter klar. „Der Patient spricht dabei während der Operation mit dem Neurochirurgen.“

Ein alternatives Verfahren, das den Funktionserhalt sichert, ist eine vorab durchgeführte Magnetstimulation. „Mit einem Magnetimpuls stimulieren wir das Hirn und stellen fest, in welcher exakten Hirnregion sich die funktionstragenden Bereiche befinden. Diese werden dann auf einer MRT-Karte markiert“, beschreibt Prof. Vatter das Verfahren. Die Region kann dann während der Operation für den Operateur im OP-Feld angezeigt und entsprechend gemieden werden.

Behandlung in Zentren

Gliome müssen in der Regel auch nach vollständiger Entfernung nachbehandelt werden. Das geschieht entweder mit einer Chemo-, einer Strahlentherapie oder einer Kombination beider Behandlungen. Die Onkologen zerstören so eventuell verbliebene Tumorreste oder auch unsichtbare Tumorausläufer im vermeintlich gesunden Umgebungsgewebe, das bei der Operation nicht erfasst wurde.

Die Behandlungs- und Diagnosemethoden der Hirnchirurgie sind aufwendig und komplex. Nur das Zusammenspiel zahlreicher Experten sichert den Behandlungserfolg. Zu ihnen zählen vor allem der Neurochirurg, der Neuropathologe, der Neuroonkologe und der Strahlentherapeut. Patienten sollten sich daher nur in großen zertifizierten neurochirurgischen Zentren behandeln lassen.


Prof. Dr. Hartmut Vatter, Direktor der Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Bonn © privat