Diagnose Krebs Wie sage ich es den Kindern?

Autor: Christoph Fasel

Es kommt vor allem darauf an, Kindern die schlimmsten Ängste zu nehmen. Das geschieht am besten, wenn man das Gespräch auf eine sachliche Basis lenkt – und alle Fragen zulässt. © iStock/gradyreese

Mediziner bekommen die Krankheit Krebs immer besser in den Griff, die Heilungsraten steigen. Dennoch ist Krebs eine sehr ernste Erkrankung und niemand kann den Krankheitsverlauf sicher vorhersagen. Nach der Diagnose gilt es, die Angehörigen zu informieren. Eine besondere Rolle nehmen dabei die eigenen Kinder ein. ­Perspektive ­LEBEN hat mit Betroffenen über deren Erfahrungen und Strategien gesprochen.

Es ist sicherlich nicht leicht, der Familie und den Freunden von seiner Krebsdiagnose zu erzählen, vor allem, wenn man sich selbst noch gar nicht über seine Gefühle im Klaren ist. Niemand kann oder will einem zu diesem frühen Zeitpunkt eine Prognose geben. Auch weiß man noch nicht so richtig, welche Therapie auf einen zukommt. „Aber genau das sind die Gründe, warum ich es seinerzeit meinem engeren Umfeld sofort gesagt habe. Diese Ungewissheit hatte mich schwer belastet. Gemeinsam mit der Familie, die mir zur Seite stand, ging alles viel leichter“, erzählt Christine F. aus Hannover rückblickend. Die Mutter zweier Kinder erkrankte vor vier Jahren an Brustkrebs.

Zeit nehmen, um das Gespräch vorzubereiten

„Meinen Mann rief ich umgehend nach der Diagnose an. Ich war am Boden zerstört, verängstigt und wusste nicht, wie es weitergehen sollte“, berichtet Christine F.: „Als er mich in den Arm nahm, schöpfte ich sofort wieder etwas Kraft. Und schnell kamen wir auf das Thema, das uns beide gleichermaßen besorgte: Wie erzählen wir es unseren Kindern?“ Christine F. beschloss, es ihnen vorerst nicht zu sagen. Sie wollte sich ausreichend Zeit nehmen, um mehr über ihre Erkrankung und die Therapie zu erfahren. Sie wusste, dass ihr zwölfjähriger Sohn und ihre fünfzehnjährige Tochter ihr Löcher in den Bauch fragen würden. ­Christine F. wollte Antworten geben können, souverän sein, um sie maximal beruhigen zu können: „Nichts wäre für das Gespräch schlimmer gewesen, als Unsicherheit. Das hätte meine Kinder sehr verängstigt.“

Zuversicht vermitteln

Nach den Voruntersuchungen, vielen Arztgesprächen und der Therapieplanung rief Christine F. dann schließlich ihre Kinder zu sich. „Es war auch höchste Zeit! Meine Tochter wurde schon misstrauisch, weil ich andauernd weg war. Zudem merkte sie mir meine anfängliche Niedergeschlagenheit an. Kinder haben dafür besondere Antennen“, erinnert sie sich. Ihr Mann war bewusst nicht dabei. Das Gespräch sollte so natürlich wie irgend möglich verlaufen. „Seine Anwesenheit hätte das Ganze zusätzlich dramatisiert. Ich wollte sachlich rüberkommen – und Zuversicht vermitteln.“

Etwas Flunkern ist erlaubt

„Beide kannten die Krankheit natürlich. Zugleich wussten sie wenig über sie. Als ich das Wort Krebs in den Mund nahm, fing erst mein Sohn und nachfolgend meine Tochter an zu weinen“, erzählt Christine F. und rät: „Man sollte, bevor man die Krankheit benennt, besser erst über die Therapie sprechen und eine hoffnungsvolle Prognose abgeben. Der Tenor sollte lauten: Es ist ein harter Weg, aber am Ende wird alles gut. So beruhigt man die Kinder und verschafft sich ausreichend Gehör.“

Es dauerte einige Zeit, bis Christine F. ihre Kinder trösten konnte. Als sie ihr dann zuhörten, konnte sie schließlich einigermaßen sachlich berichten. Und sie versicherte ihnen, wieder gesund zu werden – das hätten die Ärzte gesagt. „Sicherlich habe ich bezüglich der Prognose seinerzeit ein wenig geflunkert. Die Wahrscheinlichkeit, geheilt zu werden, lag etwa bei 85 Prozent. Hätte ich jedoch diese Zahl genannt, hätten meine Kinder sich ausschließlich über die 15 Prozent Sorgen gemacht. Das wollte ich verhindern.“

Die richtigen Worte finden

Auch Thomas S. aus Nienburg an der Weser musste mit seinen Kindern über die Diagnose sprechen, als er vor drei Jahren an Darmkrebs erkrankte. Sein Problem war der große Altersunterschied seiner zwei Mädchen: Zum Zeitpunkt der Diagnose kam seine jüngste Tochter gerade in die Schule, während die Ältere bereits die neunte Klasse besuchte. „Ich musste es beiden auf völlig unterschiedliche Art und Weise beibringen, also mit jeder einzeln sprechen. Und ich musste damit rechnen, dass sich beide anschließend austauschen. Insofern durfte ich keine widersprüchlichen beziehungsweise unterschiedlichen Informationen geben“, so Thomas S. zu seinen Überlegungen vor den Gesprächen.

Informieren und beruhigen

Thomas S. bereitete sich genau auf das Gespräch vor. Sein Ziel war es, seine Kinder möglichst umfassend zu informieren und damit gleichzeitig zu beruhigen. Zuerst sprach er mit seiner älteren Tochter. „Ich machte sie zu meiner Verbündeten. Ich erklärte ihr, wie ich es ihrer kleinen Schwester beibringen wollte. Und wir verabredeten, dass sie ebenfalls beruhigend auf ihre Schwester einwirken soll.“

Die Informationen waren letztlich bei beiden Kindern gleich, wenn auch sprachlich angepasst und mit inhaltlich unterschiedlichem Tiefgang. Betroffenen rät ­Thomas S., im Gespräch an folgende Punkte zu denken:

  • Erklären, wie die Behandlung abläuft beziehungsweise wie man wieder geheilt werden kann.
  • Beschreiben, wie die Nebenwirkungen aussehen. Vor allem, dass man in dieser Zeit körperlich schwach sein wird. Auch ein bevorstehender Haarausfall sollte angesprochen werden.
  • Ermuntern, jederzeit Fragen zu stellen.

Herausforderung Pubertät

Der Sohn von Marianne H. aus Hameln war zum Zeitpunkt ihrer Krebsdiagnose mitten in der Pubertät. „Mein Sohn musste sich seinerzeit mit vielen unterschiedlichen Gefühlen auseinandersetzen. Ich wusste, dass ich kein einfaches Gespräch vor mir hatte und holte mir Rat bei einem befreundeten Psychologen“, berichtet ­Marianne H. und betont: „Das kann ich jedem in dieser Situation wärmstens empfehlen.“ Eine wichtige Erkenntnis aus dem Expertengespräch war, dass man auf alle Reaktionen des Teenagers vorbereitet sein sollte. Auch auf unangemessene: Dazu kann Wut gehören.

Manche Jugendliche ziehen sich auch beleidigt zurück oder vergraben sich. „Zum Glück zeigte mein Sohn eine angemessene Reaktion: Er hatte Angst um mich. Damit konnte ich besser umgehen“, erinnert sie sich. Marianne H. versuchte, ihrem Sohn die Angst zu nehmen, indem sie ihn sehr genau und vollständig informierte. „Ich wies ihn darauf hin, sich möglichst keine Informationen aus dem Internet zu beschaffen, da diese ungenau seien und einen falschen Eindruck von der Erkrankung vermitteln können.“

Vorbereitet sein

Während der Therapie übertrug Marianne H. ihrem Sohn bestimmte Aufgaben, wie den Einkauf oder die Wäsche. Er wurde so indirekt in die Bewältigung der Krankheit mit einbezogen. „Als es mir langsam wieder besser ging und ich mir meinen Alltag zurückholte, war das für ihn wie eine Befreiung. „Ich sprach damals mit vielen Betroffenen über den richtigen Umgang mit Kindern. Ein Universalrezept gibt es wohl nicht“, fasst ­Marianne H. zuammen und fügt hinzu: „Jedes Kind ist halt anders. Wichtig ist nur, nicht unvorbereitet in das Gespräch zu gehen.“