Psychoonkologie Nach der Therapie: Wie geht das Leben weiter?

Autor: MPL-Redaktion

Gerade in ernsten Zeiten ist ein Lächeln wichtig. © iStock/frentusha

Nach der Behandlung gegen Krebs ist die Nachsorge Pflicht. Sie ist wichtig – kann aber auch Ängste auslösen. Lesen Sie, wie Sie bewusster im Hier und Heute leben – und die Untersuchungen gelassener angehen können.

Vor einer Krebsdiagnose sind existenzielle Ängste vor dem Tod und schwerer Krankheit für die allermeisten Menschen nur sehr abstrakt. Man hört davon, erlebt es im Verwandten und Bekanntenkreis – aber doch immer mit einem gewissen Gefühl der Distanz: Rational weiß jeder, mich kann es auch treffen – aber jetzt noch nicht. „Diese Haltung oder Art der Verdrängung ist gut und wichtig, um ein normales Leben führen zu können“, sagt Diplom-Psychologin Susanne Kappler, Leitung der Psychoonkologie im Krebszentrum Reutlingen. „Menschen sind auch immer ganz gesunde Verdrängungskünstler.“

Kaum einer macht sich ständig bewusst, dass die Uhr schon ab der Geburt rückwärts läuft. Dies ändert sich aber schlagartig, wenn der Arzt die Diagnose Krebs stellt. Dann werden die Ängste ganz konkret, ganz nah und real. Die gewohnten und im bisherigen Leben erlernten Verdrängungsmechanismen funktionieren, laut Susanne Kappler, nach einer Krebsdiagnose oft nicht mehr. Das ist völlig normal und zunächst kein Anlass eine Therapie in Anspruch zu nehmen. Angst gehört zu unserem Leben. Sie hilft uns, Gefahren zu erkennen, zu vermeiden und wenn sie unausweichlich sind, uns ganz auf die Gefahrenquelle zu konzentrieren. Das kommt den Patienten bei einer Tumorbehandlung zugute. Die Angst vor den negativen Konsequenzen fokussiert auf das Naheliegende: den Kampf gegen den Krebs aufzunehmen.

Nicht auf die Prognose fixieren

Während der Akutbehandlung bleibt kaum Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen. Auch während der Rehabilitation sind ruhige Momente selten. Erst nach der erfolgreichen Behandlung wird dann oft gefragt: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs wiederkommt? Mit dieser Frage versuchen viele Patienten, die Angst und Unsicherheit vor der Zukunft besser in den Griff zu bekommen. „Aber diese Frage ist wenig hilfreich für die meisten Patienten“, erklärt Susanne Kappler. „Der einzelne Mensch kann nicht zu einem Prozentsatz wieder Krebs bekommen: Er kommt wieder oder er kommt nicht wieder – je zu 100 Prozent.“ Ein Beispiel verdeutlicht dies: In Deutschland leben durchschnittlich 1,6 Kinder pro Familie. Also müsste folgerichtig jede Wohnung 1,6 Kinderbetten haben. Es gibt aber keine 1,6 Betten. Normalerweise stehen in einer Wohnung genauso vielen Bette, wie Kinder da sind. Genauso wenig bekommt ein Patient ein 40-prozentiges Rezidiv. Er bekommt es oder bekommt es nicht – aber das kann niemand genau vorhersagen. Dieser Umstand kann sehr beängstigend sein.

Besser leben im Hier und Heute

„Das Einzige, was Patienten und Angehörige sicher wissen und verinnerlichen müssen, ist, dass sie jetzt und heute leben, und das ist nicht immer einfach“, betont Susanne Kappler. „Die Zukunft beinhaltet immer ein gewisses Maß an Unsicherheiten, nicht Planbarem.“ Das gilt für alle Menschen. Wenn die Angst und Unsicherheit vor Rezidiven zu groß ist, kann der vorhandene Spielraum, den das Leben trotz Krebsdiagnose bietet, oft nicht genutzt werden. Sie lähmt das Leben. Anzeichen dafür sind Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit und Angstsymptome. Dazu gehören zum Beispiel eine enge Brust, hoher Puls, Atemnot und ein Klos im Hals. Treten diese Anzeichen zunehmend auf und schränken die Lebensqualität und -freude ein, sollte professionelle Unterstützung durch einen Psychoonkologen in Anspruch genommen werden. „Den Patienten muss aber klar sein, dass diese Angst durch einen guten Psychoonkologen nicht einfach verschwindet. Es ist eine ganz reale Angst“, betont Susanne Kappler. „Unsere Aufgabe und Herausforderung ist es dann, gemeinsam mit den Patienten, die Angst ein Stück weit auszuhalten, an der Akzeptanz der Unlösbarkeit einer absoluten Sicherheit im Leben und vor allem nach der Erkrankung zu arbeiten und gemeinsam eine realistische Einschätzung der Bedrohung wiederherzustellen.“

Monster oder Wollmaus

Dabei hilft oft der sprichwörtliche und genaue Blick unter das Bett. Was auf den ersten Blick wie ein Monster aussehen kann, ist bei näherem Hinsehen oft nur eine Wollmaus. Der aufsteigenden Angst vor den Monstern unter dem Bett kann mit ausreichenden Informationen, einer guten Nachsorge und Vertrauen in die „Behandler“ begegnet werden. Die Angst kann manchmal auch ein guter Gradmesser für Unsicherheit und Unklarheit bezüglich der eigenen Behandlung beim Patienten sein. „Darum sind gute und verlässliche Informationen so wichtig“, sagt Susanne Kappler. „Denn mit guten und ausreichenden Informationen über die eigene Erkrankung und Behandlung können viele Monster als Wollmäuse enttarnt werden.“

Die Gegebenheiten rational bewerten

Manchen Patienten hilft es, durch Abwägen und einer Neubewertung der vorhandenen Tatsachen die Angst besser zu bewältigen. Auf der einen Seite stehen das Risiko der Neuerkrankung und die Dinge, die Unsicherheit oder Unwohlsein auslösen. Auf der anderen Seite stehen die Maßnahmen, die ergriffen werden, um den Krebs zu heilen oder zu kontrollieren. Dazu gehören die Therapie, die Nachsorge, genauso wie gesunde Ernährung, Bewegung und soziale Kontakte. „Das bewusste Erinnern an schwierige Situationen im Leben und während der Erkrankung, die man gut gemeistert hat, kann sehr hilfreich sein. Schon allein dieser Gedanke beseitigt oft die momentan empfundene Hilflosigkeit und fördert das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, mit eventuell zukünftig schwierigen Situationen umgehen zu können“, betont Susanne Kappler. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Zeit nach der Akutbehandlung: „Die Patienten können darauf vertrauen, dass die Abstände der Untersuchungen mit Bedacht und guter Risikoabwägung festgelegt wurden. Darauf dann tatsächlich zu vertrauen, beseitigt manchmal viele Unsicherheiten und lässt die Monster unter dem Bett verschwinden oder zumindest kleiner werden.“


Diplom-Psychologin Susanne Kappler; Leitung der Psychoonkologie im Krebszentrum Reutlingen © privat