Darmkrebs Künstlicher Darmausgang: „Ich fühle mich nicht mehr eingeschränkt"

Autor: MPL-Redaktion

„Mein Leben ist genauso lebenswert wie vor der Erkrankung." © James Thew

Holger W., 58 Jahre alt, aus Braunschweig, erkrankte vor vier Jahren an Dickdarmkrebs. Der Tumor lag sehr nahe am Darmausgang. Infolgedessen musste bei der Operation – neben dem betroffenen Darmabschnitt – auch der Schließmuskel entfernt werden. Ohne Schließmuskel ist jedoch keine Kontrolle über die Stuhlentleerung mehr möglich. Die Chirurgen legten daher einen künstlichen Darmausgang an, auch Stoma genannt. In einem offenen Gespräch mit Perspektive LEBEN berichtet Holger W. über sein neues Leben.

Als mir der Gastroenterologe damals die Diagnose überbrachte, hatte ich Angst um mein Leben. Bei einer fortgeschrittenen Krebserkrankung ist die Prognose nun mal nicht so gut.

Ich wollte einfach nur leben

Der Behandlungsmarathon begann mit einer Chemotherapie. Sie sollte den Tumor verkleinern. Die Ärzte hatten die Hoffnung, den Schließmuskel erhalten zu können. Für mich nur eine Randnotiz. Wichtig war mir meine Zukunft. Ich wollte schon noch ein paar Jahrzehnte leben. Das war ich meiner Familie schuldig, allen voran meinen Kindern – ich wurde nämlich relativ spät Vater und hatte zwei Teenager zu Hause, die ihren Vater noch brauchten. Also biss ich mich durch und war stark. Die Chemo schlug den Ärzten zufolge gut an. Dann kam die Operation. Schließlich musste der Tumor entfernt werden.

Glücklich war ich – erst nur kurz

Als ich nach der OP in der Intensivstation aufwachte, sah ich mich an unzähligen Kabeln und Schläuchen angeschlossen. So etwas hatte ich nicht erwartet, wurde darauf nicht vorbereitet. Ich versuchte das zu ignorieren, indem ich meinen Unterleib einfach nicht betrachtete. Meine dringendste Frage lautete: Wie sieht meine Prognose nach der OP aus? Die Antwort darauf ließ auf sich warten. Erst am Abend des nächsten Tages kam der behandelnde Arzt und begann, mir mit ernster Miene zu erklären, was die Chirurgen an meinem Darm gemacht und gesehen hatten. Ich unterbrach ihn ungeduldig und fragte nach meiner Heilungschance. Die sei recht gut, lautete seine spontane Antwort, dann sprach er weiter. Ich war verwirrt. Fragte erneut, wollte konkretere Aussagen. Meine Heilungsrate lag aufgrund aller Befunde bei über 80 Prozent. Die Ergebnisse der Gewebeuntersuchungen könnten diese Prognose sogar noch verbessern. Ich war glücklich und etwas zornig zugleich. Warum musste er mit einer solch ernsten Miene zu mir sprechen und mir unnötig Angst machen? Und dann sagte er mir, dass mein Schließmuskel entfernt werden musste.

Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht, schließlich kreisten meine Gedanken der letzten Wochen nur um das Thema Leben oder Sterben. Und dass ein vorübergehender künstlicher Darmausgang nach solchen Operationen normal ist, wusste ich. Bei mir nun also nicht nur vorübergehend – sondern ein Leben lang! Das war keine Randnotiz mehr. Und als man mich nach der Intensivstation von den Kabeln und Schläuchen befreite, blieb der, der seitlich aus dem Unterbauch kam, bestehen.

Anfangs war ich unsicher

Es dauerte schon eine ganze Weile, bis ich mich langsam an mein neues Leben gewöhnte. Nach dem Krankenhausaufenthalt suchte ich erst einmal eine Selbsthilfegruppe auf – das hatte mir der Psychoonkologe geraten. Hier bekam ich viele nützliche Informationen für den Alltag. Und es tat gut, mit Menschen zu sprechen, die das gleiche Schicksal teilen. Mein anfängliches Hauptproblem war die Hygiene. Ich war mir unsicher, ob ein Stoma überhaupt geruchsneutral sein kann. Und wie sollte ich in diesem Fall unter Leute gehen oder meinen Beruf weiter ausüben, der eben nicht unter freiem Himmel stattfindet, sondern in einem Großraumbüro? Aber die Gruppe gab mir hier sofort viele nützliche Tipps, sodass ich bald selbstsicher einen normalen Kontakt zu Menschen pflegte.

Problemloser Berufseinstieg

Eine wichtige Rolle in den ersten Monaten spielte meine Familie. Da ich leichte Gerüche des Stomas aufgrund der schleichenden Gewöhnung meist nicht wahrnehmen konnte, sollten meine Familienmitglieder mich stets darauf hinweisen. Ziel war es, die Ursachen zu ergründen und zu beheben. Das funktionierte gut. Mein Umgang mit dem Stoma wurde immer perfekter. Ich freute mich schließlich auf den Wiedereinstieg in den Beruf. Als es so weit war, weihte ich einen vertrauten Kollegen, der mir glücklicherweise im Büro am nächsten saß, ein. Er sollte mir unbedingt Bescheid geben, falls ihm etwas in die Nase stieg. Zu meiner Erleichterung war das bis heute nur einmal der Fall. Besser hätte meine Rückkehr in den Beruf kaum klappen können.

Selbsthilfe hilft

Ich kann jedem Betroffenen nur empfehlen, einer Selbsthilfegruppe beizutreten. Die Informationen und praktischen Tipps gibt es nur dort. So hatte ich etwa in den ersten Wochen Pro­bleme mit der Verdauung beziehungsweise mit meiner Ernährung. Natürlich bekommt man bereits im Krankenhaus ausführliche Informationen. Aber dabei handelt es sich um Durchschnittswerte, um sehr allgemeine Empfehlungen. Individuelle Problemlösungen gibt es nicht. In einer Selbsthilfegruppe kann man hingegen sicher sein, dass man irgendjemanden findet, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat und weiß, was zu tun ist.

Auf die Ernährung achten

Ernährung ist ohnehin das zentrale Thema für Stomaträger. Damit lässt sich viel steuern. So kann man beispielsweise den ungewollten Luftabgängen, die besonders in der Öffentlichkeit oder im Büro peinlich sein können, vorbeugen. Der Verzicht auf die bekannten blähenden Lebensmittel wie Kohl, Lauch und Hülsenfrüchte liegt dabei auf der Hand. Dass aber kohlensäurehaltige Lebensmittel wie Cola oder Brause auch zu Luftabgängen des Darms führen, erfuhr ich erst in der Gruppe.

Vorbereitet in den Urlaub

Obwohl ich heute supersicher mit meinem Stoma umgehe, besuche ich jedes Treffen, es sei denn, ich bin krank oder im Urlaub. Apropos Urlaub: Natürlich ist auch das kein Problem. Vorausgesetzt, man bereitet sich richtig vor. Ich nehme immer deutlich mehr Stomabeutel und Basisplatten mit auf Reisen, als ich zu Hause verbrauche. Denn Schwitzen bei hohen Temperaturen oder wenn einem das Essen in der Ferne mal nicht so bekommt, führen zu einem höheren Verbrauch. Bei Flugreisen muss daran gedacht werden, sämtliche Utensilien im Handgepäck zu haben. Und im Ausland ist auf die Qualität des Leitungswassers zu achten. Denn bei der Stomapflege darf ja schließlich nur sauberes Wasser benutzt werden. Und möchte man unbesorgt im Meer schwimmen, empfiehlt sich ein Probeschwimmen in einem heimatlichen Schwimmbad. Zwar versprechen moderne Versorgungssysteme auch im Wasser dicht zu bleiben. Eine Kontrolle ist aber aus meiner Erfahrung besser.

In meinem heutigen Alltag habe ich mich mit meinem Stoma sehr gut arrangiert. Es stört mich kaum mehr als die Reinigung und Pflege meiner Kontaktlinsen. Ich fühle mich nicht mehr eingeschränkt. Und mein Leben ist genauso lebenswert wie vor der Erkrankung.