Lungenkrebs Ein Arzt als Krebspatient: „Ich war wütend auf mich selbst“

Autor: Dietmar Kupisch

Es war mir im Stillen klar: Irgendwann würde ich die Quittung für meinen Lebenswandel erhalten. (Agenturfoto) © Halfpoint – stock.adobe.com

Die Diagnose Krebs trifft Menschen größtenteils unerwartet. Anders bei Dr. Dieter B. aus Köln. Er war vorbereitet, als er vor fünf Jahren von seiner Krankheit erfuhr. Trotzdem hatte er in dieser Zeit auch schwere Stunden.

Als Single arbeitete ich damals voller Eifer in einem Kölner Krankenhaus: Nachtschichten, Wochenend- und Bereitschaftsdienste in der Chirurgie. Über Jahre gab ich richtig Gas – hoffte ehrgeizig auf eine Oberarztstelle. Den Stress kompensierte ich mit Sport und Nikotin.

Kein Anlass aufzuhören

Ich rauchte seit dem Studium. Und leider steigerte sich mein Konsum von Jahr zu Jahr. Zuletzt verbrauchte ich durchschnittlich 1,5 Packungen am Tag. In der Spitze, wenn mich die Arbeit besonders stresste, auch mal mehr als zwei. Natürlich wusste ich über die Gefahren Bescheid. Gerade als Mediziner war ich darüber mehr als aufgeklärt.

Immer wieder kaufte ich mir die „letzte“ Schachtel. Immer wieder setzte ich mir Fristen, zu denen ich aufhören wollte. Silvester hatte ich dabei sehr oft auf dem Zettel. Stets siegte jedoch die Sucht über meinen zu schwachen Willen. So befand ich mich in einem jahrelangen Zwiespalt. Irgendwie fand ich keinen geeigneten Anlass aufzuhören. Das änderte sich im Frühling 2015.

Das erste Mal

Ich fühlte mich seit einigen Wochen leistungsschwach und erwartete täglich die ersten Symptome einer Grippe. Doch die blieben aus. Irgendetwas anderes sorgte für meine Müdigkeit. Als ich dann während eines einfachen Treppenaufstieges ungewohnt schnell außer Atem kam, dachte ich sofort an meine Lunge. In den Jahren zuvor waren meine diesbezüglichen Überlegungen nur theoretischer Natur: Ich könnte an Lungenkrebs erkranken, wenn ich so weiter mache. Doch an jenem Tag dachte ich, nun war es soweit, ich erhielt die Quittung für meinen Lebenswandel.

Und trotz der in mir aufsteigenden Angst und des damit einhergehenden enormen Stresses, rauchte ich keine Zigarette – das erste Mal seit Jahrzehnten.

Der Arzt zeigte sich irritiert

Ich ging gar nicht erst zu meinem Hausarzt, sondern suchte sofort eine Lungenklinik auf. Irgendwie schräg: Ich wollte die fachärztliche Bestätigung meiner persönlichen Vermutung. Ich war wütend. Warum hatte ich es so weit kommen lassen? Oder hatte ich Glück und irrte mich? Die Luftnot konnte auch viele andere Ursachen haben – harmlose. Meine Gefühle fuhren Achterbahn.

Den behandelnden Arzt konfrontierte ich direkt und ohne Umschweife mit meiner Vermutung. Er zeigte sich sichtlich irritiert. Noch irritierter war er, als mein Thorax- Röntgenbild tatsächlich einen kleinen Schatten auf dem rechten Lungenflügel zeigte. Weitere Untersuchungen bestätigten den Anfangsverdacht: Es handelte sich um Lungenkrebs. Ich hatte recht!

Etwas Hoffnung

Kurzfristig war ich erleichtert, hatte ich doch Klarheit über meine Situation und endlich einen starken Grund, mit dem verdammten Rauchen aufzuhören. Diese wirren Gedanken wurden ganz schnell von meiner Angst vertrieben: Wie sollte es mit mir und meinem Leben weitergehen?

Ich suchte Trost bei meinem besten Freund. Meine Eltern informierte ich vorerst nicht. Ich wollte die genaue Prognose abwarten und wissen, wie genau meine Therapie aussehen würde. Als der onkologische Leiter der Klinik mir dann alles erklärte, schöpfte ich wieder etwas Hoffnung. Diese war mir nämlich in den Tagen zuvor gänzlich abhandengekommen. Ich war mir sicher, sterben zu müssen.

Meine Eltern hatten Angst

Der Tumor war operabel. Das ist bei einem Lungenkarzinom wohl eher selten und zudem die einzige sichere Möglichkeit einer vollständigen Heilung. Eine gute Nachricht also. Wobei man natürlich erst die OP abwarten und vor allem hoffen musste, dass sich noch keine Metastasen gebildet hatten. Eine Chemotherapie sollte daher prophylaktisch nachfolgen.

Meine Mutter war am Boden zerstört, sie hatte Angst, obwohl ich ihr meine Situation wohlweislich rosiger geschildert hatte, als sie sich tatsächlich darstellte. Mein Vater kümmerte sich um Mama und ich konnte mich voll auf den anstehenden Therapie-Marathon konzentrieren.

Zeigen, wie dumm ich war

Dank meiner sportlichen Aktivitäten und meiner körperlichen Fitness überstand ich OP und Chemo relativ gut. Haarausfall und Hautausschlag machten mir nichts aus. Ich galt nie als besonders eitel. Meine Freunde und Kollegen kümmerten sich in dieser Zeit rührend um mich.

Und ich selbst buddelte mich auch nicht ein. Ich ging raus, so oft wie möglich: Restaurants, Bars und Sportstudie. Ich trug meine Krankheit regelrecht zur Schau. Ich glaube, ich wollte der Welt zeigen, wie dumm ich war: Schaut her, das kommt davon, wenn man nicht auf seine Gesundheit achtet. Und letztlich war ich immer noch wütend! Wie konnte ich nur über Jahre so unvernünftig sein? Ein Arzt sollte es besser wissen – sollte eine Vorbildfunktion ausüben.

Ich glaube, ich hatte Glück. Zumindest gab es bis heute keinen Rückfall beziehungsweise fanden die Kollegen keine Metastasen bei ihren Kontrolluntersuchungen. Das Rauchen habe ich nicht nur aufgegeben, ich bekämpfe es, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Auch wenn mich der eine oder andere Raucher auf der Straße oder im Stadion nach meinen belehrenden Worten etwas verständnislos anschaut. Aber ich finde, gerade als Arzt hat man hier eine besondere Verantwortung.