Wirkstoffgruppen Tyrosinkinase-Hemmer: Krebs-Signale stoppen

Autor: MPL-Redaktion

Für bestimmte Krebsarten lassen sich spezielle Medikamente herstellen, die das Wachstum stoppen. © iStock/Sasha Brazhnik

Im gesunden Gewebe entwickeln und teilen sich die Zellen nach einem strengen Regime. Jedoch gibt es bestimmte Medikamente, die das verhindern können.

Das Immunsystem hat ein Problem: Es kann oft nicht zwischen Krebszellen und gesunden Zellen unterscheiden. Wenn diese Freund-Feind-Erkennung nicht funktioniert, werden Krebszellen erstens nicht erkannt und zweitens auch nicht angegriffen – und dementsprechend auch nicht vernichtet.

Daher bleibt der Krebs oft lange unentdeckt und kann immer weiter wachsen. Das heißt aber auch, dass sich Krebszellen von gesunden Zellen in mindestens einem Punkt unterscheiden müssen. Ansonsten würde das Immunsystem die Gefahr erkennen und die Krebszellen von gesunden Zellen unterscheiden – und könnte den Tumor so am ungezügelten Wachstum hindern.

1. Auf die Besonderheiten der Mutation kommt es an

Die Zellen in unserem Körper sind aus bestimmten Eiweißen aufgebaut. Mediziner bezeichnen sie als Proteine. Je nachdem, welche Aufgabe ein Eiweiß in der Zelle übernehmen muss, ist es auf eine bestimmte Art und Weise aufgebaut. Die Baupläne für die unterschiedlichen Proteine sind in den Genen abgelegt, die sich auf den Chromosomen befinden.

Die Chromosomen liegen im Zellkern einer jeden Zelle und tragen die gesamten und individuellen Erb­informationen eines Lebewesens. Immer dann wenn sich eine Zelle teilt, müssen alle Erbinformationen für die neue Zelle kopiert werden. Bei diesem Vorgang können Fehler auftreten, die der Körper meist rasch erkennt und korrigiert oder beseitigt.

Gelingt dies nicht, sprechen Wissenschaftler von einer sogenannten Mutation. Führen diese Mutationen zu einem unkontrollierten und zunächst unentdeckten Wachstum, sprechen wir von Krebs.

In den letzten Jahren konnten Mediziner für bestimmte Krebsarten charakteristische Mutationen oder Veränderungen finden, die das Wachstum der Tumoren fördern. Liegen solche Mutationen vor, lassen sich potenziell sogenannte zielgerichtete Medikamente entwickeln.

2. Energieübertragung als Krankheitsauslöser

Wachstumssignale in einer Zelle werden unter anderem von sogenannten Tyrosinkinasen ausgelöst. Docken an diese Eiweiße bestimmte Energieträger aus dem Zellinneren an, übertragen die Tyrosinkinasen diese Energie an Signalstoffe.

Diese Signalstoffe lösen dann mithilfe dieser übertragenen Energie ihrerseits komplizierte Signalketten in Richtung des Zellkerns aus. Sie sind für das kontrollierte Zellwachstum und die geordnete Zellteilung verantwortlich.

Bei der chronischen myeloischen Leukämie zum Beispiel können Tyrosinkinasen so verändert sein, dass sie völlig unkontrolliert Energie an die Signalstoffe in der Zelle übertragen und damit völlig unkontrollierte Wachstums- und Teilungssignale auslösen. Das Ergebnis ist, dass sich diese Blutzellen ungehemmt vermehren. Wissenschaftler nennen diese Mutation BCR-ABL-Tyrosinkinase. Diese Veränderung wurde von den Wissenschaftlern als Ziel für eine mögliche Krebstherapie identifiziert.

3. Andockstellen besetzen

Nachdem bei Krebspatienten in Tyrosinkinasen Veränderungen entdeckt worden waren, entwickelten die Wissenschaftler und Mediziner Medikamente, die diese Energieübertragung der Tyrosinkinase unterbinden können.

Es muss ein Stoff entwickelt werden, der genau in die Andockstelle der BCR-ABL-Tyrosinkinase hineinpasst und diese damit blockiert. „Diese Medikamente müssen also so beschaffen sein, dass sie unbeschadet in die betroffenen Zellen eindringen und die Andockstellen besetzen können“, sagt Professor Dr. Carsten Müller-Tidow, Universitätsklinikum Heidelberg. „Dies macht das einfache Wirkprinzip in der Praxis extrem kompliziert.“

Tyrosinkinase-Hemmer sind Moleküle, die durch die Zellwand in die Krebszellen eindringen. Dann können die Energieträger nicht mehr andocken, die Energie kann nicht mehr übertragen werden und die Wachstumssignale können nicht mehr ausgelöst werden. Die Wachstumssignale der mutierten Tyrosinkinasen bleiben somit aus. „Die Signalketten und mutierten Proteine sind bei unterschiedlichen Krebsarten und deren Unterarten nicht immer gleich. Lediglich das Prinzip ist dasselbe“, sagt Prof. Müller-Tidow. „Daher können einzelne Tyrosinkinase-Hemmer nur für einzelne Krebsarten eingesetzt werden.“

4. Was bringt die Zukunft?

Die Tyrosinkinase-Hemmer sind bei der CML oft so erfolgreich, dass die Patienten ein fast normales Leben mit dieser Erkrankung führen können. „Daher müssen wir Tipps und Hilfen geben, dass die Patienten die Einnahme nicht vergessen “, sagt Prof. Müller-Tidow.

„Werden die Medikamente abgesetzt, kann die Krankheit wieder aufflammen.“ Absetzstudien sollen Erkenntnisse darüber erbringen, ob und wann auf eine dauerhafte Medikation verzichtet werden kann. „Die Tyrosinkinase-Hemmer gehören zu den zielgerichteten Therapien bei Krebs“, sagt Prof. Müller-Tidow. „Derzeit ist eine ganze Reihe von Medikamenten zugelassen. Sie können bei vielen Krebsarten Erfolg versprechend eingesetzt werden.“


Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow, Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik V Universitätsklinikum in Heidelberg © Privat