Medizinischer Fortschritt Mit der Immuntherapie die Tarnung aufheben

Autor: Christoph Fasel

Forscher fanden ­heraus, wie Krebs dem Immunsystem entkommt – und wie man es reaktivieren kann. © iStock/anilakkus

Ideen aus dem Feld der Immunonkologie verhalfen der Krebsmedizin in den letzten Jahren zu einigen ihrer größten Erfolge. Manche sind schnell zum Behandlungsstandard für eine ganze Reihe verschiedener Tumoren avanciert. Perspektive LEBEN sprach mit Professor Dr. Wolfgang Herr vom Universitätsklinikum Regensburg über den aktuellen Stand der Forschung.

Es war vor allem die Entdeckung der sogenannten Immuncheckpoints und die Möglichkeit, sie zu blockieren, die die Krebstherapie entscheidend vorangebracht haben: „Immuncheckpoint-Inhibitoren, die sogenannten ICPi, haben die Therapielandschaft revolutioniert“, sagt Professor Dr. Wolfgang Herr vom Universitätsklinikum Regensburg. Er ist dort seit 2013 Direktor einer Klinik für Hämatologie und Internistische Onkologie.

„Neben den ICPi rücken zudem die neuen Immuntherapien mit CAR-T- oder TCR-Zellen, Antikörper und die Tumorimpfung mit ihren zum Teil beeindruckenden Erfolgen immer mehr in den Fokus moderner Therapien“, ergänzt der Experte.

Grundlagen der Immunonkologie

Unser Immunsystem schützt uns vor Keimen wie Bakterien, Viren, Pilzen und anderen körperfremden Stoffen. Außerdem besitzt es die Fähigkeit, zwischen einer gesunden körpereigenen Zelle und einer – ebenfalls körpereigenen, aber genetisch veränderten – Krebszelle zu unterscheiden. Darüber hinaus können seine einzelnen Bestandteile mitei­nander kommunizieren und ihre Reaktionen gegenseitig regulieren. Und das Immunsystem kann sich sogar erinnern.

Das Problem dabei: Krebszellen werden von dem Abwehrsystem oft schlecht erkannt oder bremsen es aktiv aus und werden deshalb nicht ausreichend bekämpft. Daher suchen Wissenschaftler nach Möglichkeiten, das Immunsystem so zu unterstützen, dass es selbstständig und gezielt gegen den Krebs vorgehen kann. Ein Beispiel, wie seine Blindheit gegenüber Tumoren überwunden werden kann, sind die sogenannten monoklonalen Antikörper. Sie docken an einem für den Krebs typischen Eiweiß auf der Zelloberfläche an und dienen Abwehrzellen als Markierung. Aufgrund dieser Markierung erkennt das Immunsystem die Krebszelle als Fremdkörper und geht gegen sie vor.

Ein weiteres Ziel: Botenstoffe blockieren

Damit das Immunsystem in einer gesunden Balance aus dem Kampf gegen Fremdkörper und Schonung des körpereigenen Gewebes bleibt, müssen die Aktivitäten der Abwehrzellen reguliert werden. Diese Regulierung geschieht unter anderem mithilfe von Botenstoffen. Sie binden an bestimmte Rezeptoren auf der Zelloberfläche der Immunzellen und steuern so deren Aktivität. Dies nutzen manche Krebsarten aus, um sich vor den Angriffen der Abwehrzellen zu schützen. Dafür schütten sie Botenstoffe aus, die die Immunzellen abbremsen. Das hat zur Folge, dass sie zwar als Fremdkörper erkannt, aber trotzdem nicht effektiv bekämpft werden.

Die Botenstoff-Rezeptoren auf den Abwehrzellen lassen sich jedoch mithilfe von Antikörpern besetzen. Die Strategie der Krebszelle bleibt damit wirkungslos – und die Immunzelle kann den Kampf gegen den Krebs ordnungsgemäß aufnehmen.

Den Tumor entlarven

Doch Botenstoffe sind nicht die einzige „Bremse“ des Immunsystems. Körpereigene Zellen verfügen über sogenannte Immuncheckpoints als Stoppsignale gegenüber Abwehrzellen. Sie sind wichtig, um Autoimmunreaktionen zu verhindern. „Diese Checkpoints können sich die Tumoren zu Nutze machen, um sich zu tarnen und so einer Immun­antwort des Körpers, der sich wehrt, zu entgehen“, erklärt Prof. Herr. Hintergrund ist, dass Krebszellen oft noch viele Merkmale ihres Ursprungsgewebes aufweisen. Daher können sie auf diesem Wege gegen sie gerichtete Abwehrzellen ausschalten.

Gegen diese Tarnung setzen Mediziner die Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICPi) ein. Prof. Herr erklärt: „Das sind Antikörper, die zu einer Unterbrechung der Checkpointsignale beitragen und damit eine Immun­antwort im Patienten reaktivieren.“ Zugelassene ICPi zeigen einen klaren medizinischen Nutzen. Sie verlängerten zum Beispiel die mittlere Überlebensdauer von Patienten, die an einem metastasierten schwarzen Hautkrebs (Melanom) litten, von 6 Monaten auf 10 Monate.

Mittlerweile hat sich die Therapierichtung mit großem Tempo entwickelt. Es gibt immer mehr Zulassungen neuer ICPi, deren Wirkung bei einer ganzen Reihe von Krebsarten als gesichert gilt. Allerdings spricht nur ein Teil der Patienten auf die Inhibitoren an.

Vollgas für das Immunsystem

Neben der Aktivierung einer vom Körper der Patienten ausgehenden Immunantwort ist ein weiteres Konzept der Immuntherapie die Verabreichung von gentechnisch veränderten T-Zellen. Solche CAR-T-Zellprodukte (CAR-T steht für chimäre Antigenrezeptoren) sind mit einem speziellen Rezeptor ausgestattet, der sie auf ein Oberflächenmolekül der Krebszellen lenkt. Im Jahr 2017 wurde die Therapie in den USA zugelassen, und im August 2018 in Europa. Derzeit können bestimmte Formen von Lymphknotenkrebs (B-NHL) und akuter Leukämie (ALL) damit behandelt werden. Die Therapie erfolgt in spezialisierten Zentren, von denen es mittlerweile einige in Deutschland gibt.

Neben den genannten Möglichkeiten stellt die Impfung mit tumorassoziierten Antigenen eine weitere aussichtsreiche künftige Therapieform dar. Eine solche aktive Immunisierung zielt auf die Überwindung der mangelhaften Erkennung des Immunsystems gegenüber einem im Patienten vorhandenen Tumor. Voraussetzung für diese Therapie ist die Kenntnis geeigneter tumorassoziierter Antigene. In klinischen Studien, in denen Tumorpatienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium geimpft wurden, zeigte sich generell eine gute Verträglichkeit. Es gab sogar einzelne partielle und auch komplette Tumorremissionen – das heißt: In wenigen Einzelfällen verschwand der Tumor ganz.

„Ein Nachteil einer Vakzination mit Tumor-Antigenen ist, dass diese zumeist individualspezifisch auftreten. Das macht daher in der Regel aufwendige Vorarbeiten zur Antigencharakterisierung und personalisierten Vakzineherstellung notwendig“, erklärt Prof. Herr. Aber die aktuelle Forschung zeigt, dass die Herstellung personalisierter Tumor-Impfstoffe beim metastasierten Melanom, dem schwarzen Hautkrebs und beim Glioblastom, einem Hirntumor, durchaus möglich ist. Bei beiden Krankheitsbildern zeigen jüngere Arbeiten, dass mithilfe dieser neuen Therapiestrategien bei einigen Patienten Tumorrückbildungen beobachtet werden konnten. Bisher findet die Behandlung ausschließlich in klinischen Studien statt, eine Zulassung existiert derzeit noch nicht.

Zusammengefasst: Zwei Methoden stechen heraus

Neue Strategien wie die Immuncheckpointinhibitoren erweiterten die Krebstherapie und stellen in Einzel- oder Kombinationstherapien bei vielen Tumorarten heute den neuen Behandlungsstandard dar.

Die sogenannten CAR-T-Zellen zeigen insbesondere bei verschiedenen bösartigen Erkrankungen des Blutsystems wie Leukämien oder Lymphomen gute Ansprechraten. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, wie Prof. Herr betont: „Der Herstellprozess und die Abläufe bei der CAR-T-Zell-Therapie sind komplex und bedürfen einer guten Koordination und Schulung des gesamten Behandlungsteams.“ Deshalb liegt diese Behandlung nicht umsonst am besten in der Hand darauf spezialisierter und zertifizierter Zentren.


Prof. Dr. Wolfgang Herr, Universitätsklinikum Regensburg © privat