Netzwerk gegen Darmkrebs Jeder vermeidbare Tote ist einer zu viel

Autor: Christoph Fasel

Jüngeren bleibt viel Zeit, ihr Darmkrebsrisiko zu senken. © iStock/pixelfusion3d

Das Netzwerk gegen Darmkrebs versucht, durch breite Aufklärung zur Vorsorge die Zahl der Krankheitsopfer zu senken. Und das mit Erfolg.

Die Zahlen senden ein deutliches Signal: Rund 60.000 Frauen und Männer erkranken jedes Jahr neu an Darmkrebs, fast 26.000 Menschen sterben jährlich an der Krankheit. Das Absurde daran: Er ist die einzige onkologische Erkrankung, die durch konsequente Vorsorge komplett vermieden werden könnte! „Wir haben große Fortschritte in der Onkologie gemacht, insbesondere im Bereich der Diagnostik und Therapie“, sagte Professor Dr. Christof von Kalle am 20. Oktober 2020 auf dem Symposium „Innovations in Oncology. Vision Zero“.

Vorbild aus den 70ern

Das Vorbild der Vision-Zero-Initiative stammt aus den 1970er-Jahren – und zwar aus der Verkehrs­sicherheit. Grundbedingung ist die Einsicht in zwei Dinge:

  1. Der Mensch macht Fehler.
  2. Ein System muss mit diesen Fehlern rechnen und die Bedingungen so anpassen, dass diese Fehler nicht tödlich enden.

Vision Zero – der englische Begriff steht für das Ziel, irgendwann keine Toten mehr zu verzeichnen – auch beim Darmkrebs. Doch bei der Behandlung sei man oft zu spät und das, obwohl es einen großen Wissensschatz da­rüber gibt, wie sich ein kolorektales Karzinom verhindern lässt oder früh genug erkannt werden könnte, sprach der Experte.

Darmkrebsprävention nach Maß

Wie groß aber ist das Risiko, in den nächsten zehn Jahren an Darmkrebs zu erkranken? Ein neuer Algorithmus, den das Netzwerk gegen Darmkrebs sehr begrüßt und der verschiedene Risikofaktoren berücksichtigen kann, soll diese Frage für jede Person mit großer Präzision beantworten können.

Es gibt bekanntlich viele unterschiedliche Faktoren, die das Darmkrebsrisiko beeinflussen. Ein Team vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) hat unter der Leitung von Professor Dr. Krasimira­ Aleksandrova in Bremen zusammen mit einigen Kooperationspartnern ein Rechenmodell aufgebaut, das individuelle Darmkrebsrisiken möglichst präzise vorhersagen soll. „LiFeCRC“, so der etwas komplexe Name, wurde anhand der Gesundheitsdaten von über 255.000 Teilnehmern einer Studie entwickelt, die in den Jahren 1992 bis 2000 nicht an Krebs erkrankt waren und bis zu 15 Jahre lang nachbeobachtet wurden. Zusätzlich nutzte das Team weitere Daten von mehr als 74.000 Personen, um die Vorhersagekraft des Modell zu untermauern.

Das Netzwerk gegen Darmkrebs tritt seit Jahren dafür ein, Vorsorgeempfehlungen und -angebote am individuellen Krebsrisiko auszurichten, und nicht allein an Alter oder Geschlecht eines Menschen. Darmkrebs ist eine der häufigsten malignen Erkrankungen weltweit. Experten erwarten bis 2030 sogar noch einen Anstieg um 60 %. Dabei ist für die Leibniz-Wissenschaftler auffallend, dass die Zahl der Menschen mit einer Darmkrebsdiagnose vor dem 50. Lebensjahr zunimmt. Gleichzeitig werden die Chancen der Prävention immer noch nicht ausreichend genutzt. Auch für Prof. Aleksandrova gilt daher: „Ein Großteil der Darmkrebserkrankungen ist vermeidbar, und ein günstiger Lebensstil in frühen und mittleren Jahren reduziert das Lebenszeitrisiko deutlich.“ Mit ihrem Projekt wollen die Forscher Personen mit einem lebensstilbedingt erhöhten Darmkrebsrisiko identifizieren und sie zur rechtzeitigen Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen sowie zu Verhaltensänderungen motivieren.

Was sind die Risikofaktoren?

Das Datenmodell, mit dem die Wissenschaftler arbeiten, beruht auf folgenden Risikofaktoren:

  • Alter
  • Hüftumfang
  • Körpergröße
  • Alkoholkonsum
  • Raucherstatus
  • körperliche Aktivität
  • Ernährungsgewohnheiten, das heißt der Anteil an Gemüse, Milchprodukten, verarbeitetem Fleisch, Zucker und Süßwaren in der Nahrung

Diese Merkmale sind seit Längerem als Risikofaktoren für Darmkrebs bekannt. Tatsächlich konnte das Projekt zeigen, dass der Algorithmus Personen mit hohem Erkrankungsrisiko zuverlässig identifizieren und dieses präzise einschätzen kann.

Besonders hoch ist übrigens die Aussagekraft bei jüngeren Menschen. Das ist den Forschern besonders wichtig – da dieser Zielgruppe noch viel Zeit bleibt, ihr Darmkrebsrisiko durch Veränderungen ihrer Verhaltensweisen positiv zu beeinflussen.

Vorsorgeuntersuchungen lohnen sich

Der Verein „Netzwerk gegen Darmkrebs“ in München wurde 2004 von der Felix Burda Stiftung in Zusammenarbeit mit führenden Medizinern gegründet. Der Verein ist die wohl wichtigste gemeinnützige, unabhängige Vereinigung zur Darmkrebsvorsorge in Deutschland. Das Ziel des Vereins und seiner Mitglieder ist es, die Anzahl der Menschen, die jährlich an Darmkrebs sterben, von aktuell rund 26.000 deutlich zu senken. Die Mitglieder des Vereins gelten als Wegbereiter von gesellschaftspolitischen Veränderungen im Bereich der Darmkrebsvorsorge und Früherkennung.

Ein paar Zahlen belegen, wie wichtig Aufklärunsgarbeit für die Vorsorge ist: Seit Einführung der gesetzlichen Vorsorgedarmspiegelung im Jahr 2002 haben mehr als 5 Millionen Menschen diese Untersuchung durchführen lassen. Dadurch sind nach einer Hochrechnung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg 100.000 Neuerkrankungen von Darmkrebs verhindert und über 50.000 Tumoren in einem so frühen Stadium erkannt worden, dass sie geheilt werden konnten.

Zwischen 2000 und 2016 sank die Rate der Neuerkrankungen bei beiden Geschlechtern um rund 25 %. Noch deutlicher sind die Effekte auf die Sterblichkeitsrate: Sie sank im Zeitraum zwischen 2000 und 2018 bei Männern um rund 36 %, bei Frauen um gut 40 %. Diese Bilanz ist erfreulich, denn sie ist der Beleg dafür, dass sich Vorsorgeuntersuchungen lohnen.