Besonderheit als Chance Zielgerichtete Therapien bei Darmkrebs

Autor: MPL-Redaktion

Die Chancen bei der Diagnose Darmkrebs sind in den letzten Jahren stark gestiegen. © drubig-photo – stock.adobe.com

Jedes Jahr wird in Deutschland bei mehr als 60.000 Menschen Darmkrebs diagnostiziert. Immer häufiger setzen Ärzte zielgerichtete Medikamente im Kampf gegen den Darmkrebs ein. Lesen Sie hier, wie diese neuen Medikamente die Therapie unterstützen.

Wird Darmkrebs frühzeitig erkannt, reicht oftmals eine Operation, um die Krankheit endgültig zu besiegen. In bestimmten Situationen wird zur Sicherheit zusätzlich eine Chemo- oder Strahlentherapie eingesetzt, um das Rückfallrisiko zu senken.

Die Chemotherapie als wichtige Säule

Ist die Krankheit schon weiter fortgeschritten, so spielt vor allem die Chemotherapie eine wichtige Rolle, die – im Gegensatz zu den örtlichen Therapieverfahren Operation und Strahlentherapie – im gesamten Körper wirksam ist. „In die Entscheidung, wie die Behandlung durchgeführt werden soll, fließen immer die Ausdehnung der Erkrankung und der Allgemeinzustand des Patienten ein“, sagt Professor Dr. Thomas Herrmann, Chefarzt der Medizinischen Klinik 1 am Westküstenklinikum Heide.

Dabei richten sich die Medikamente einer Chemotherapie grundsätzlich gegen schnell wachsende Zellen in unserem Körper. Sie treffen daher nicht nur den Tumor. Auch gesundes Gewebe kann angegriffen werden. „Dadurch können unerwünschte Nebenwirkungen auftreten, die jedoch durch moderne Begleittherapien heutzutage in der Regel gut behandelbar und oft sogar vermeidbar sind“, betont Prof. Herrmann. „Beim fortgeschrittenen Darmkrebs gilt nach wie vor, dass die klassische Chemotherapie die Basis der medikamentösen Behandlung ist.“ Fortgeschritten heißt in diesem Zusammenhang, dass der Krebs bereits die Darmwand verlassen und Metastasen entwickelt hat.

Mit Antikörpern genau ins Ziel

Tumorzellen haben oft bestimmte Merkmale auf der Oberfläche ausgebildet, die mit Signalwegen in der Zelle in Verbindung stehen, die wiederum das Wachstum und die Streuung des Tumors fördern. Diese Besonderheit ist eine Chance, um gezielt gegen den Krebs wirkende Medikamente einzusetzen. Darüber hinaus nutzen Tumoren zur Förderung ihres Wachstums körpereigene Mechanismen wie die Bildung neuer Blutgefäße. Auch diese Mechanismen werden durch bestimmte Faktoren gefördert, die mit spezifisch wirkenden Medikamenten gehemmt werden können. Fachleute sprechen dann von zielgerichteten Therapien. Gelingt es den Forschern nämlich, einen solchen Mechanismus aufzudecken, können Medikamente entwickelt werden, die diese Merkmale nutzen, um die Tumorzellen zu schädigen.

Die Nebenwirkungen dieser Medikamente überschneiden sich oft nicht mit denen einer klassischen Chemotherapie. Daher können sie in Kombination mit der Chemotherapie gegeben werden. „Bislang kennen wir jedoch nur wenige dieser besonderen Merkmale und Mechanismen“, betont Prof. Herrmann. „Und nur für einige davon stehen uns die entsprechenden Medikamente zur Verfügung.“ Zwei wichtige Medikamentengruppen werden als zielgerichtete Therapie beim fortgeschrittenen Darmkrebs angewendet.

Signale stoppen

Ein Merkmal auf der Oberfläche vieler Darmkrebszellen ist der sogenannte epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR). Über diese Struktur auf der Zelloberfläche wird ein Signalweg im Zellinneren aktiviert, der das Tumorwachstum fördert. Sogenannte EGFR-Antikörper binden an diesen Rezeptor und blockieren damit das Wachstumssignal. Etwa die Hälfte der Tumoren weist jedoch bestimmte genetische Veränderungen (sogenannte RAS-Mutationen) in diesem Signalweg auf, die zur Folge haben, dass EGFR-Antikörper nicht wirken können. Eine Untersuchung auf das Vorliegen dieser genetischen Veränderungen im Tumor wird heutzutage routinemäßig durchgeführt, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die von einer Therapie mit EGFR-Antikörpern profitieren können, bei denen also die zusätzliche Gabe eines EGFR-Antikörpers zur Chemotherapie den Nutzen der Therapie verstärken kann.

Die Patienten werden immer älter

In Deutschland betrifft etwa jede siebte Krebserkrankung den Darm und es ist die dritthäufigste Krebserkrankung nach Brust- und Prostatakrebs. Im Mittel waren Frauen 75, Männer 71 Jahre alt, als sie die Diagnose erhielten. Mehr als die Hälfte der Betroffenen erkrankte nach dem 70. und nur etwa 10 Prozent vor dem 55. Lebensjahr. Immer mehr Menschen überleben langfristig mit ihrem Leiden.

Versorgung stoppen

Um wachsen zu können, benötigt der Krebs Sauerstoff und Nährstoffe. Diese Substanzen werden, wie überall im Körper, über das Blut zur Verfügung gestellt. Damit der Krebs genügend Sauerstoff und Nährstoffe bekommt, regt er Blutgefäße in seiner Umgebung mit sogenannten Wachstumsfaktoren an, zu wachsen. Die Wachstumsfaktoren docken an den Blutgefäßen an und fördern so die Neubildung und das Wachstum von Blutgefäßen. So wird der Krebs ständig mit mehr Sauerstoff und Nährstoffen versorgt.

Diesen Vorgang der Neubildung und des Wachstums von Blutgefäßen nennt der Mediziner Angiogenese. Mithilfe von Angiogenese-Hemmern werden die Wachstumsfaktoren oder die Strukturen auf der Zelle, die von den Wachstumsfaktoren erkannt werden, blockiert. So wird das Einwachsen von Blutgefäßen in den Tumor behindert und damit das Tumorwachstum gehemmt.

Dem Besonderen auf der Spur

Forscher arbeiten ständig daran, weitere Mechanismen zu entdecken, die der Tumorentstehung und dem Tumorwachstum zugrunde liegen. Dies ist der erste Schritt zur Entwicklung einer neuen zielgerichteten Therapie. Im nächsten Schritt werden Medikamente gesucht, die genau diese Mechanismen treffen und Signalketten unterbrechen oder blockieren. Klinische Studien zeigen dann, ob die Medikamente wirken, wie sie vertragen werden und welche Nebenwirkungen auftreten können. Dieser Weg von der Entdeckung eines Mechanismus bis zum Einsatz eines daraus abgeleiteten Medikaments in der Routine am Menschen ist lang. Die Fortschritte in der Behandlung vieler Tumorarten, auch des fortgeschrittenen Darmkrebses, sind aber heute schon deutlich spür- und messbar: „Heute sind wir schon so weit, dass viele Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs eine bessere Prognose haben als manche Patienten mit sogenannten gutartigen Erkrankungen“, sagt Prof. Herrmann.


Prof. Dr. Thomas Herrmann; Chefarzt der Medizinischen Klinik 1 am Westküstenklinikum Heide © privat