Angiogenesehemmer Wirkstoffgruppen: Keine Nährstoffe – kein Wachstum

Autor: MPL-Redaktion

Es muss gezielt gegen den Tumor vorgegangen werden. © iStock/nicolas_

Krebszellen brauchen besonders viel Nährstoffe und Sauerstoff. Nur dann können sie rasch wachsen und sich teilen. Werden Krebsherde von der Versorgung abgeschnitten können sie nicht mehr wachsen oder sterben sogar ab. Lesen Sie hier, wie moderne Medikamente die Versorgung von Tumoren im Körper mit Sauerstoff und Nährstoffen verhindern sollen.

Medikamente gegen den Krebs wirken meist als Zellgifte. Sie greifen in den Teilungsprozess der Zellen ein und zerstören so den Krebs. Allerdings werden dabei nicht nur Krebszellen getroffen. Alle Zellen, die sich im Körper im Moment der Chemotherapie teilen, werden von diesen Zellgiften angegriffen und zerstört. Die Zellen an den Haarwurzeln teilen sich beispielsweise besonders häufig. Deshalb gehen bei vielen Patienten mit einer Chemotherapien die Haare verloren.

Gegen den Krebs

Weil die Chemotherapien so breit gegen alle Zellen im Körper wirken, sind Forscher seit Langem auf der Suche nach neuen Medikamenten. Sie sollen ganz gezielt nur auf den Krebs oder seine Umgebung wirken.

Schon in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts fand der amerikanische Wissenschaftler Judah Folkman eine wichtige Tatsache über Tumoren heraus, die ihn auf eine neue Hypothese zum Vorgehen gegen das Wachstums des Krebses ermutigten. Er erkannte nämlich, dass Krebsherde mit eigenen, neu gebildeten Blutgefäßen durchwoben sind. Mediziner sprechen dabei von der sogenannten Angiogenese. Dabei steht Angio für das „Blutgefäß“ – sprich Blutader und Genese für „die Entstehung“. Er stellte die damals sehr umstrittene These auf, dass der Krebs selbst die Wachstumsprozesse der Blutadern steuert“, sagt Prof. Dr. med. Salah-Eddin Al-Batran, Ärztlicher Direktor am Institut für Klinisch-Onkologische Forschung (IKF), Krankenhaus Nordwest, Universitätscentrum für Tumorerkrankungen Frankfurt.

„Er behauptete also, dass die Zellen des Tumors mit den Zellen des Körpers kommunizieren.“ Anders konnte sich er das Wachstum von Blutadern im Krebs nicht erklären.
Aus diesen Überlegungen heraus, entstand die Frage, ob und wie dieses Wachstum der Blutgefäße unterbunden und so das Wachstum des Krebs gestoppt werden kann.

Ständiger Nachschub

Krebs ist eine bösartige Gewebeneubildung. Ärzte sprechen oft von sogenannten malignen Tumoren. Malignen steht dabei für bösartig und Tumor für das Krebsgeschwulst. Dieses Krebswachstum kann nur dann gelingen, wenn der Krebsherd immer gut mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird. Wenn der Krebsherd noch ganz klein ist, kann er sich die Nährstoffe aus der unmittelbaren Umgebung holen.

Aber schon ab einer Größe von ungefähr einem Millimeter reicht das nicht mehr aus. Er benötigt dann zusätzliche Nährstoffe, die er aus dem Blut bezieht. Dafür wachsen in den Krebs kleine Blutgefäße hinein. Der Fachmann spricht dann vom Einsprossen der Blutadern in den Krebsherd. Wird der Tumor größer, werden auch die Gefäße größer. So stellt der Tumor den Nachschub für sein Wachstum sicher.

Immer wieder neu

Ständig werden im Körper Blutadern gebildet. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden. Die Arterien transportieren das Blut vom Herzen zu den Zellen. Die Venen sind für den Transport von den Zellen zum Herzen verantwortlich. Das Wachstum der Blutadern beginnt nach der Befruchtung der Eizelle, wenn die Zellteilung einsetzt. Ganz wichtig ist dieser Prozess, wenn wir uns verletzen. Unser Körper bildet dann Adern, über die die Nährstoffe zum Wundverschluss herangeschafft und die Abbauprodukte abtransportiert werden.

Ein Puzzelstück

Angiogenesehemmer sind heute ein wichtiges Puzzelstück in der gesamten Krebstherapie. Sie werden z.B. gegen den Darmkrebs oder Magenkrebs sehr breit eingesetzt. Voraussetzungen dafür sind, dass Metastasen gebildet wurden und die Chemotherapie nicht wirkt. „Welche Patienten von Angiogenese-Hemmern profitieren, ist noch nicht ganz klar“, so Prof. Al-Batran. „Aufgrund der geringen Nebenwirkungen werden sie daher bei allen Patienten eingesetzt.“ Ziel ist, den Fortschritt der Erkrankung zu verzögern und somit ein besseres und längeres Überleben zu sichern.

Immer auf Sendung

Der Tumor muss also den Körper überlisten, dass er für ihn die Gefäße aufbaut. Dafür sendet der Tumor Signale aus. Diese Signale werden von Antennen auf den Zellen der Gefäße aufgenommen. Sie regen die Zellen an, sich zu vermehren. Das Ergebnis sind neue Gefäße die den Krebs mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen.

Die revolutionäre Idee von Judah Folkman war, genau diese Signalkette zu unterbrechen. Er und sein Forscherteam konnte bei Mäusen diese Signalkette unterbrechen, indem er ein Enzym verabreichte, das die Antennen auf den Zellen besetzten. Dadurch konnten die Signale des Krebses nicht mehr aufgenommen werden. „Die weitere Einsprossung, die Angiogenese, wurde somit verhindert und der Krebs verkleinerte sich oder verschwand ganz“, berichtet Prof. Al-Batran. „Es ist überliefert, dass Folkman zu dieser Zeit gefragt wurde, ob er denn nun den Krebs heilen könnte. Er soll geantwortet haben: „Wenn der Mensch eine Maus wäre, ja.“ Tatsächlich hat es noch Jahrzehnte gedauert, bis die ersten Angiogenesehemmer beim Menschen eingesetzt werden konnten.“


Prof. Dr. Salah-Eddin Al-Batran; Ärztlicher Direktor am Institut für Klinisch-Onkologische Forschung (IKF), Krankenhaus Nordwest, Universitätscentrum für Tumorerkrankungen Frankfurt © privat