Radiatio Strahlentherapie: Auf die Dosis kommt es an

Autor: Perspektive LEBEN

Die Strahlentherapie soll die Erbsubstanz der Tumor­zellen schädigen und damit den Krebs zerstören. © iStock/Dr Microbe

Die sogenannte Radiatio wird heute bei etwa der Hälfte aller Krebspatienten eingesetzt. Professor Dr. Jürgen Dunst, Direktor der Klinik für Strahlentherapie der Universitätsklinik Kiel, erklärt, wie die Therapie wirkt.

Warum wirken Strahlen gegen den Krebs?

Die Strahlentherapie nutzt meist elektromagnetische Strahlen gegen den Krebs. Die Wirkung dieser Strahlung ist im Prinzip ganz einfach. Die eingesetzten Strahlen sind so stark, dass einzelne Elektronen aus den bestrahlten Atomen oder Molekülen heraus geschleudert werden. Zurück bleiben dann positiv geladene Atome oder Moleküle. Fachleute bezeichnen diese Atome oder Moleküle als Ionen und daher diese Art der Strahlen als sogenannte ionisierende Strahlung.

Werden genügend Elektronen aus den Atomen oder Molekülen der Erbsubstanz, auch DNA genannt, einer Zelle ionisiert, wird die DNA so stark geschädigt, dass die Zelle sich nicht mehr teilen kann und abstirbt. Das macht sich die Strahlentherapie zunutze. Sie soll die Erbsubstanz der Tumorzellen treffen, schädigen und letztlich den Tumor zerstören.

Gibt es Unterschiede in den Schäden?

Die Schäden an der Erbsubstanz fallen je nach Stärke der Strahlen und Art der bestrahlten Zellen ganz unterschiedlich aus. Wir sprechen von einfachen Schäden, wenn nur einzelne kleine Bereiche der DNA zerstört werden. Unser Körper ist auf solche Schäden vorbereitet. Sie können innerhalb von Sekunden oder Minuten und meist völlig unbemerkt repariert werden. Sind die Schäden groß und zahlreich, sprechen wir von komplexen Schäden. Diese können nur langsam oder gar nicht repariert werden. Sind die Schäden zu groß, sterben die Zellen ab.

Warum ist der Körper auf Schäden durch Strahlen vorbereitet?

Wir sind ständig geringen Dosen von ionisierender Strahlung ausgesetzt, der sogenannten natürlichen Strahlenbelastung. Zum Beispiel kann Radon, ein strahlendes Gas, aus dem Boden entweichen und mit der Atemluft eingeatmet werden. Aber auch aus dem Weltraum gelangen ionisierende Strahlen auf die Erde. Alle unsere Zellen sind an diese natürliche Strahlung gewöhnt. Je nach Zelltyp werden diese Schäden besonders gut oder eher schlecht repariert. Zum Beispiel haben die Zellen im Gehirn ganz besonders gute Reparaturmechanismen.

Dies ist deshalb so wichtig, weil sich die Zellen über das ganze Leben hinweg fast nicht teilen und vermehren. Die Zellen der Schleimhäute dagegen können Schäden des Erbguts nicht gut reparieren. Dies ist aber auch nicht so wichtig, weil sie sich recht schnell teilen und meist nur wenige Tage existieren. Auch Krebszellen verfügen meist nur über schlechte Mechanismen zur Reparatur von Schäden, die durch ionisierende Strahlen ausgelöst werden.

Dies nutzt die Strahlentherapie aus: Gesunde Zellen können die strahleninduzierten Schäden am Erbgut meistens sehr gut reparieren. Krebszellen hingegen können meist so stark geschädigt werden, dass sie absterben. Auf diese Weise werden auch einzelne Krebszellen und kleinste Krebsherde von der Strahlentherapie erreicht und vernichtet. Umso größer der Unterschied zwischen dem guten Reparaturmechanismus der gesunden Zellen und dem schlechten Mechanismus der Krebszellen ist, umso besser wirkt die Strahlentherapie.

Was ist die wichtigste Aufgabe der Strahlentherapeuten?

Die Strahlenempfindlichkeit von Krebszellen und gesunden Zellen ist zum Teil sehr unterschiedlich. Zusätzlich gilt, dass kleine Strahlendosen auch nur kleine Schäden verursachen. Wird die Strahlendosis verdoppelt, steigt die Anzahl und Schwere der Schäden viel stärker an. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass die Schäden überproportional zur Steigerung der Dosis ansteigen. Dies gilt für gesundes und entartetes Gewebe.

Die Hauptaufgabe des Radioonkologen ist es also, genau die Strahlendosis zu finden, bei der der Unterschied der Strahlenempfindlichkeit relativ am größten ist. Grundsätzlich hat er dabei zu beachten, dass gesundes Gewebe möglichst gut geschont und der Tumor möglichst vollständig zerstört wird.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Um sein Ziel zu erreichen, muss der Radioonkologe fünf Faktoren beachten, mit denen er den Bestrahlungsplan für jeden Patienten individuell berechnet:

  • Damit möglichst alle Krebszellen zerstört werden, muss die Gesamtdosis ausreichend groß sein.
  • Die Gesamtdosis muss auf viele, bis zu 40 Sitzungen, verteilt werden. Damit wird sichergestellt, dass sich die gesunde Zellen immer wieder vollständig erholen können.
  • Die Einstrahlrichtung wird bei den Bestrahlungen immer wieder geändert. So wird die Strahlung optimal verteilt und möglichst wenig gesundes Gewebe erhält Strahlendosen.
  • Tumoren haben oft unterschiedliche Formen und verändern diese während der Behandlung, zum Beispiel durch Schrumpfung. Mit den heutigen Bestrahlungstechniken wird das Bestrahlungsfeld optimal an die Form des Tumors angepasst, um gesundes Gewebe zu schonen.
  • Durch Organbewegungen kann sich die Lage des Tumors während der Bestrahlung ändern. Moderne Therapiegeräte können solche Bewegungen, die zum Beispiel durch das Atmen verursacht werden, heute erkennen und ausgleichen.

Können Sie einen Blick in die Zukunft wagen?

Aktuell sind drei Themen im Fokus der klinischen Studien und Forschung. Je genauer die Strahlen das Tumorgewebe treffen, umso wirksamer ist die Therapie und umso geringer sind die Schäden für das umliegende gesunde Gewebe. Derzeit untersuchen Mediziner und Physiker, ob und wie man durch permanente Bildgebung bei der Bestrahlung zum Beispiel mit Kernspintomographie die Präzision und damit den Erfolg einer Strahlentherapie steigern kann. Patienten mit metastasierten Tumoren gelten oft als unheilbar krank. Operationen und Medikamente versagen oft, zumal dann, wenn mehrere Organe, etwa Leber, Lunge und Hirn, gleichzeitig betroffen sind.

Für Patienten mit wenigen Metastasen entwickeln wir gerade ein Behandlungsschema, das ganz gezielt die Metastasen zurück drängen soll. Ziel der Untersuchungen ist, dass die Krankheit länger und besser beherrscht oder auch ganz zurückgedrängt werden kann. Welche Effekte eine Strahlentherapie insgesamt auf den Körper hat, ist bislang noch wenig erforscht. Eine Beobachtung ist in diesem Zusammenhang sehr bedeutsam: Unter einer Strahlentherapie des Haupttumors konnten Ärzte beobachten, dass auch weit entfernte Metastasen kleiner wurden und das, obwohl keine zusätzlichen Medikamente und dergleichen verabreicht wurden.

Dies zeigt, dass die Strahlentherapie über die eigentliche Wirkungskette von Bestrahlung, Ionisierung und Schädigung der Erbsubstanz hinaus eine positive, gegen den Krebs gerichtete Wirkung auf das Abwehrsystem der Patienten haben kann. Auch dies wird in aktuellen Studien untersucht.


Prof. Dr. Jürgen Dunst, Direktor der Klinik für Strahlentherapie der Universitätsklinik Kiel © Privat