Sichere Diagnose Seltene Erkrankungen: Wann in ein Zentrum zu Spezialisten gehen?

Autor: Heiko Schwöbel

Bei unklarem Befund: Nicht unnötig Zeit verlieren, sondern gleich bei einem Spezialisten eine zweite Meinung einholen. © iStock/BrianAJackson, Anja W.

Die Schwierigkeit bei seltenen Krebserkrankungen liegt darin, dass Ärzte sie fast nie in der Praxis antreffen und oft nicht diagnostizieren können. Lesen Sie, wann Patienten nachhaken sollten.

Zunächst sieht alles ganz harmlos aus. „Ich habe mir gedacht – seltsam, ich habe seit einiger Zeit eine Beule am rechten Bein,“ erzählt Sabine M., 50 Jahre alt, aus Mühlheim an der Ruhr. „Ich fragte mich, ob ich mich wohl gestoßen habe?“ Sabine M. denkt sich nichts weiter dabei und vergisst die Beule rasch. Doch nach einiger Zeit bemerkt sie, dass die Beule gar nicht weggehen will und eigentlich auch größer wird. Als diese dann auch ab und an Schmerzen bereitet, wird Sabine M. nervös und geht zum Arzt.

Sachgerechte Diagnose

„Mein Arzt hat die Beule angeschaut und kam recht schnell zu dem Schluss, dass der Knoten rasch herausoperiert werden muss,“ erzählt Sabine M. „Gesagt, getan. Der Knoten wird mit lokaler Betäubung entfernt.“ Nach einigen Monaten stellt Sabine M. fest, dass die Beule an der gleichen Stelle wieder spür- und sichtbar ist.

„Da bin ich dann doch erschrocken“, erinnert sie sich. „Und mein Mann hat mir dann geraten, mal zu seinem Arzt zu gehen.“ Der hat sich die Geschichte angehört, den Kopf geschüttelt und ­Sabine M. sofort zu einem Radiologen geschickt. „Seine Worte dabei waren: In den allermeisten Fällen ist ein solcher Befund völlig harmlos, aber es muss unbedingt abgeklärt werden. Sicher ist sicher.“

«Manchmal fällt den Ärzten die Diagnose schwer»

Die Untersuchungen beim Radiologen ergeben, dass es sich bei der Beule wahrscheinlich um ein Sarkom handelt. Deshalb wird eine Gewebeprobe aus dem fraglichen Gewebe entnommen. Dabei wird es mit einer feinen Hohlnadel angestochen und Material aus dem Geschwulst entnommen.

„Häufig stehen Patienten einer Gewebeprobe skeptisch gegenüber“, sagt Professor Dr. Arne Streitbürger, Chefarzt der Abteilung für Tumororthopädie und Sarkomchirurgie, Universitätsklinikum ­Essen. „Sie befürchten, dass Tumorzellen in die Blutbahn gespült werden könnten und weitere Absiedelungen des Krebses auslösen.“ Diese Angst sei – trotz aller Gerüchte in Medien und Internet – jedoch völlig unbegründet. Noch immer gilt, dass ohne Gewebeprobe keine sichere Diagnose gestellt werden kann. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt fast jeder Krebsbehandlung.

Selten, aber real

Die Untersuchung bringt es für Sabine M. an den Tag: Der Befund ist nicht harmlos. Sie leidet an einem sehr seltenen sogenannten Weichteilsarkom. Sarkome sind bösartige Geschwülste, die sich im Bindegewebe, in Muskel- oder Fettgewebe sowie in Knochen ansiedeln. Sie sind bei Menschen sehr selten. Nur etwa 1 Prozent aller Krebserkrankungen sind Sarkome; alle anderen Krebserkrankungen sind sogenannte Karzinome, Leukämien oder Lymphome. Sie befallen die Häute von Organen, Schleimhäute, das Blut oder das Knochenmark. In Deutschland erkranken etwa 3000 Menschen pro Jahr an Weichteilsarkomen und etwa nur 300 Menschen an Knochensarkomen.

Inzwischen konnte der Gesundheitszustand von Sabine M. wieder stabilisiert werden. Eine weitere Operation und eine Chemotherapie drängte den Krebs erfolgreich zurück.

Aufklärung ist wichtig!

„Wir sehen immer wieder, dass Patienten mit Sarkomen zunächst falsch behandelt werden“, berichtet Professor Dr. Jendrik Hardes, Chefarzt der Abteilung für Tumororthopädie und Sarkomchirurgie, Universitätsklinikum Essen. „Daher lassen wir keine Gelegenheit aus, unsere Kollegen in den Praxen und Kliniken für das Thema Sarkome noch besser zu sensibilisieren.“ Inzwischen stehen detaillierte Leitlinien und Empfehlungen zur Verfügung. Mit ihnen können Ärzte rasch entscheiden, bei welchen Anzeichen ein zertifiziertes Zentrum aufgesucht werden muss.“

Prof. Streitbürger: „Wir konzentrieren uns dabei aber nicht nur auf die Ärzte. Wir wollen auch die Patienten mit ins Boot holen. Mit einer guten Aufklärung wollen wir die Aufmerksamkeit für diese Erkrankungen weiter erhöhen.“ Die Spezialisten werden nicht müde, auf Veranstaltungen für Patienten und Patientenvertreter über die seltenen Krebserkrankungen zu sprechen.

Die Warnsignale beachten

Das Tückische bei Sarkomen ist unter anderem, dass sie sehr lange überhaupt keine Beschwerden machen. Unwohlsein, Gewichtsverlust oder Nachtschweiß treten bei diesen Erkrankung nicht auf. „Hinzu kommt, dass auch Blutuntersuchungen bisher völlig ins Leere gehen“, sagt Prof. Hardes. „Daher werden Sarkome frühzeitig eher zufällig, zum Beispiel während anderer Untersuchungen, entdeckt.“

Misstrauisch sollten Patienten immer dann werden, wenn Beulen nicht kleiner, sondern größer werden, sich Blutergüsse über Wochen halten oder lokale Schmerzen länger als vier bis fünf Wochen ungeklärt bleiben. Treten unklare Schmerzen in Knochen auf, sollte unbedingt rasch ein Arzt befragt werden.

Spezialisten können wirklich helfen

Vor jeder Behandlung eines unklaren Geschwulstes muss, entsprechend den Leitlinien, mithilfe einer Röntgen- oder Kernspin-Untersuchung sowie einer Gewebeprobe eine vollständige Diagnose gestellt werden. „Ist das nicht der Fall, müssen Patienten dem Arzt ein Stopp­signal geben“, betont Prof. Streitbürger. „Das heißt im Zweifel, dass der Arzt gewechselt werden muss.“ Ergeben die Untersuchungen, dass es sich um eine bösartige Erkrankung handelt, empfehlen die Leitlinien meist, die Patienten an ein Zentrum für Weichteil- und Knochentumoren zu überweisen. Dort können Patienten sicher sein, dass sie nach den geltenden Regeln optimal behandelt werden.