Gliome Der Krebs im Kopf – Größe und Lage sind entscheidend

Autor: MPL-Redaktion

Hirntumore werden meist minimal-invasiv operiert. © iStock/undefined undefined

Die Diagnose bei Hirntumoren lautet im medizinischen Fachbegriff häufig Astrozytom oder Glioblastom. Gliom ist der medizinische Überbegriff für diese Hirntumoren. Circa 8.000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich an dieser Krebsart. Im Durchschnitt sind die Patienten dabei bereits rund 65 Jahre alt. Die Betroffenen fragen sich, wie es nach der Diagnose weitergeht und welche Therapie auf sie zukommen wird.

Für „Perspektive LEBEN“ berichtet der Experte Professor Dr. Hartmut Vatter über die Behandlungsmöglichkeiten. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Bonn.

„Grundsätzlich benötigen wir möglichst genaue Informationen über den Tumor, bevor wir das weitere Vorgehen und damit eine optimale Behandlung planen können“, erklärt Prof. Vatter. Der erste Schritt besteht in der Regel in einer radiologischen Bildgebung. Sie erfolgt mithilfe eines speziellen Verfahrens, der Magnetresonanztomographie – kurz MRT oder auch Kernspintomographie. So kann die Lage des Tumors genau lokalisiert werden.

Genaue Analysen des Tumors sind wichtig

Das MRT liefert wichtige Erkenntnisse über die Tumorgröße und -lage und somit auch, ob und wie gut er sich operieren lässt. Zudem lassen sich mittels MRT – zumindest in gewissen Grenzen – die Art des Tumors und seine Aggressivität einschätzen. Bei einem Teil der Gliome kann es durchaus angezeigt sein, das Tumorwachstum zunächst nur zu beobachten.

Um eine sichere Diagnose zu beschaffen, ist allerdings eine Gewebeentnahme erforderlich. Das kann mittels einer so genannten „stereotaktischen Biopsie“ erfolgen. Dabei bedienen sich die Mediziner eines minimalinvasiven Verfahrens, bei dem über eine wenige Millimeter messende Schädeleröffnung mit einer dünnen Nadel eine kleine Tumorprobe entnommen wird. Durch eine MRT-basierte Zielsteuerung wird dabei sichergestellt, dass die richtige Tumorstelle getroffen wird, ohne dass wichtige Teile des Gehirns verletzt werden. So lässt sich mit einem minimalen Risiko ergründen, um welche Tumorart es sich genau handelt.

„Sprechen aber bereits die MRT-Bilder dafür, dass die beste Behandlung des Tumors in dessen möglichst vollständiger Entfernung besteht und die Lage das mit einem vertretbaren Risiko zulässt, so sollte auf eine Biopsie verzichtet werden und bereits primär eine vollständige Tumorentfernung angestrebt werden“, sagt Prof. Vatter. Das bedeutet dann, dass der Tumor operiert wird.

Das WHO-Schema der Tumorgrade

Die Tumoren werden in Gruppen eingeteilt:

  • Grad I: gutartige Tumoren, die extrem langsam wachsen und eine gute Prognose haben
  • Grad II: halb gutartige Tumoren, die langsam wachsen und eine relativ gute Prognose haben
  • Grad III: halb bösartige Tumoren, die schnell wachsen und eine ungünstige Prognose haben
  • Grad IV: bösartige Tumoren, die sehr schnell wachsen und eine sehr ungünstige Prognose haben

Moderne neurochirurgische OP-Techniken

Neurochirurgische Tumoroperationen werden heutzutage immer minimalinvasiv und mithilfe eines Operationsmikroskopes durchgeführt. „Zudem verwenden wir Neuro-Navigationsgeräte mit denen wir uns die MRT-Bilder im OP-Feld anzeigen lassen können. Dadurch können wir unter maximaler Schonung des gesunden Gehirngewebes den Tumor erreichen und entfernen“, erklärt Prof. Vatter.

Häufig ist es bei hirneigenen Tumoren jedoch so, dass eine vollständige Entfernung ein mehr oder minder großes Risiko für gesundes, funktionstragendes Hirngewebe darstellt. Im Rahmen dieser Operationen gilt es für den Neurochirurgen, immer die richtige Balance zwischen einer radikalen Tumorentfernung und einem maximalen Funktionserhalt des Gehirns zu finden. Hier gibt es moderne Verfahren, die die Eingriffe sicherer beziehungsweise genauer verlaufen lassen.

„Wir verabreichen beispielsweise dem Patienten einen speziellen Farbstoff, der auf der Aminosäure 5-Ala basiert. Er färbt das Tumorgewebe und verbessert dadurch das Resektionsausmaß“, erläutert Prof. Vatter. Zudem steht dem Operateur an einigen Zentren eine intraoperative Kernspintomographie zur Verfügung. Das bedeutet, er kann noch während des Eingriffs eine MRT durchführen und erkennen, ob noch Tumorreste zurückgeblieben sind, die dann noch entfernt werden können.

Neben diesen Techniken, die die Tumorentfernung verbessern, verfügen die Mediziner über moderne Maßnahmen, mit denen der Funktionserhalt des Hirngewebes sichergestellt wird.

Kontrollen während der Operation

So kann intraoperativ eine elektrische Stimulation des Gehirnes eingesetzt werden. „Wir können damit während der Operation kontrollieren, ob die Motorik oder die Sensibilität des Patienten gefährdet ist beziehungsweise diese funktionstragenden Areale gezielt schonen“, so der Experte.

Das Gehirn empfindet keinen Schmerz

Die Überwachung unserer Fähigkeit, zu sprechen und Sprache zu verstehen ist durch eine elektrische Stimulation bisher aber nicht exakt möglich. Da das Gehirn keinen Schmerz empfindet, können Patienten mit Tumoren im Bereich der Sprachregionen allerdings wach operiert werden. Der Patient spricht dabei während der Operation mit seinem Neurochirurgen, sodass die Sprach­areale sicher geschont werden können. Das „Setting“ und die Vorbereitungen für eine Wachoperation sind allerdings nicht so einfach, wie es hier klingt, sondern bedürfen einer aufwendigen Vorbereitung und Begleitung des Patienten während der Operation durch ein Team, das neben dem Neurochirurgen aus erfahrenen Narkoseärzten und Sprachtherapeuten besteht.

Ein alternatives Verfahren, das den Funktionserhalt sichert, besteht in einer vorab durchgeführten Magnetstimulation. Das funktioniert, indem mit einem Magnetimpuls das Hirn stimuliert wird. „So wird exakt festgestellt, in welcher Hirnregion funktionstragende Bereiche sind, die dann auf einer MRT-Karte markiert werden. Diese Karte wird dann während der OP für den Operateur im OP-Feld angezeigt, sodass die Areale entsprechend gemieden werden können“, erklärt Prof. Vatter.

Die Gewebeprobe gibt Aufschluss

Das entfernte Tumorgewebe wird nachfolgend histologisch untersucht. Das heißt, Experten, sogenannte Neuropathologen, schauen sich das Gewebe sehr genau an. Dazu benutzen sie Mikroskope, Färbungen und biochemische Verfahren, mit der die molekulare Struktur des Tumors entschlüsselt werden kann. Sie erkennen damit, um welche Gehirntumorart es sich handelt. Anhand der Untersuchungsergebnisse kann der Tumor dann nach seiner Aggressivität eingestuft werden. Dazu dient das sogenannte WHO-Schema (siehe Kasten links unten).

Tumoren mit den WHO-Graden 3 und 4 müssen in der Regel auch nach vollständiger Entfernung nachbehandelt werden. „Das geschieht entweder mit einer Chemo- oder einer Strahlentherapie oder auch in Kombination der beiden“, berichtet Prof. Vatter. „So sollen eventuell verbliebene Tumorreste oder auch „unsichtbare Tumorausläufer“ im vermeintlich gesunden Umgebungsgewebe, das bei der Operation nicht erfasst wurde, zerstört werden“.

Die richtige Klinik finden – darauf müssen Sie achten

Nur durch eine enge Kooperation von Spezialisten kann eine optimale Ausschöpfung aller Behandlungsmöglichkeiten gewährleistet werden.

„Ich möchte an dieser Stelle auch eine Lanze für die universitäre Medizin brechen“, sagt Experte Prof. Vatter. „Gerade für Hirntumorpatienten ist die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten extrem wichtig. Neue, vielversprechende Behandlungsansätze können nur nach gesetzlich genau festgelegten Regeln im Rahmen von kontrollierten Studien in die Klinik gebracht und dadurch für die allgemeine Behandlung zugänglich gemacht werden.“ In und außerhalb klinischer Studien sollten die Behandlungserfahrungen von möglichst vielen – am besten allen – Hirntumorpatienten in Datenbanken einfließen.

Dadurch sollten die Ergebnisse jeder Behandlung und jedes Zentrums anhand möglichst objektiver Kriterien über einen langen Zeitraum kontrolliert und verglichen werden können. Experte Vatter: „Eine möglichst vollständige Erfassung der Hirntumorpatienten stellt ein wichtiges Instrument der medizinischen Forschung – zum Wohle der Patienten – dar, da sie eine transparente Kontrolle der Behandlungsqualität ermöglicht!“

So finden Sie die richtige Klinik

Wichtig für die Wahl der richtigen Klinik ist, dass die Hauptbeteiligten einer Hirntumorbehandlung vorhanden sind und eng zusammenarbeiten. Dazu zählen vor allem

  • der Neurochirurg,
  • der Neuropathologe,
  • der Neuroonkologe und
  • der Strahlentherapeut.

Diese sollten sich regelmäßig treffen, gemeinsam die Behandlungsstrategie festlegen, die Strategie im Verlauf überprüfen und – falls notwendig – auch anpassen.

Solche Zentren sind in der Regel zertifiziert, zu finden unter www.onkozert.de Weitere wichtige Informationen zum Hirntumor gibt es unter www.hirntumorhilfe.de


Prof. Dr. Hartmut Vatter; Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Bonn © privat