Erkrankung des blutbildenden Systems Akute myeloische Leukämie: Eine Diagnose, viele Gesichter

Autor: Perspektive LEBEN

Es gibt verschiedene Unterformen der akuten myeloischen Leukämie. © iStock/toeytoey2530

Eine nicht seltene, bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems bezeichnen die Mediziner als akute myeloische Leukämie, kurz AML. Es handelt sich dabei um eine Erkrankung der Blutstammzellen im Knochenmark, die zu einer Überproduktion von unreifen weißen Blutkörperchen führt.

Das ist gefährlich, weil diese Krankheit die normale Blutbildung verhindern und damit zu lebensbedrohlichen Infektionen und Blutungen führen kann. Außerdem kann es bei dieser enormen Zellvermehrung zu Durchblutungsstörungen und Organversagen kommen. In Deutschland erkranken jährlich etwa 3.500 Menschen an der AML. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei etwa 65 bis 70 Jahren.

Die Diagnose der AML wird durch eine Blut- und eine Knochenmarkuntersuchung gestellt. Sie sollte in einer Fachklinik im Rahmen einer stationären Abklärung erfolgen. „Wir stellen so fest, welche spezielle Form der AML vorliegt. Denn es gibt verschiedene Unterformen, die durch Genuntersuchungen bestimmt werden können“, erklärt Prof. Martens. „Im Rahmen der Diagnostik müssen wir dann schnell entscheiden, ob unmittelbarer Handlungsbedarf besteht.“

Einfluss hierauf haben die konkrete Unterform der AML und die vorliegende Wachstumsgeschwindigkeit. Die Unterformen werden nach unterschiedlichem Risikoprofil eingeteilt. Um dieses zu erkennen, wird der genetische Fingerabdruck der Erkrankung bestimmt. Erst danach erstellen die Hämatologen die Therapiestrategie.

Induktionstherapie als Basisbehandlung

Steht die Form der AML fest, untersuchen die Ärzte in einem nächsten Schritt den Allgemeinzustand des Patienten. Denn als Faustformel für die Behandlung gilt: Je fitter der Patient, desto besser verträgt er die kraftraubende Therapie. „Als Basisbehandlung wählen wir in der Regel eine intensive Chemotherapie. Je nach Form der AML kann diese durch neue molekulare Therapieansätze ergänzt werden“, sagt Prof. Martens. „Das sind sogenannte zielgerichtete Therapien, die nur die Krebszellen bekämpfen und in der Regel andere Körperzellen schonen.“

Die Chemotherapie zur Behandlung einer AML heißt Induktionstherapie. Sie erfolgt unter stationären Bedingungen für die Dauer von etwa sieben Tagen. Die Zytostatika bekommt der Patient in dieser Zeit über einen zentralen Venenkatheter zugeführt. Sie töten die bösen Zellen der Leukämie, die sogenannten Myeloblasten, ab.

Als Nebeneffekt der Behandlung sterben auch normale gesunde Zellen. Betroffene haben dadurch für einige Wochen eine deutlich reduzierte Blutbildung und werden daher für circa zwei bis drei Wochen durch Bluttransfusionen unterstützt. Da auch die weißen Blutkörperchen, die Polizei im Körper, vorübergehend sehr verringert sind, besteht die Gefahr von Infektionen, die mit Antibiotika und Medikamenten gegen Pilzinfektionen behandelt werden.

Insgesamt müssen Patienten sich auf einen Krankenhausaufenthalt von etwa vier Wochen einstellen. Nach der Therapie kann es zu Schleimhautentzündungen, Durchfällen und Haarausfall kommen. Patienten können dem jedoch vorbeugen. Entsprechende Maßnahmen sind beispielsweise gute Körperhygiene und Mundpflege, keimarme Ernährung und ausreichende körperliche Bewegung. „Gerade mit einer guten Fitness und gezielten sportlichen Aktivitäten, auch vor und während der Therapie, vertragen Patienten die Behandlungen besser“, empfiehlt Prof. Martens.

Akute Leukämien nur in Fachkliniken behandeln

Betroffene sollten sich an eine Fachklinik für Hämatologie richten, die spezialisiert ist auf die Behandlung von akuten Leukämien. Die behandelnden Ärzte haben Zugang zum neuesten Stand der Forschung. Sie sollten zudem angeschlossen sein an eine der deutschen AML-Studiengruppen.

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Die Heilungschancen bei der AML sind schwer zu prognostizieren. Sie hängen von der Unterform der AML ab und schwanken zwischen 20 und 90 Prozent. Es gibt AML-Formen, die nach einer Therapie zeitversetzt wieder auftreten können – auch wenn die Leukämie nach einer intensiven Chemotherapie zunächst nicht mehr sichtbar war. „Deshalb folgen nach einem Induktions-Chemotherapiezyklus als weitere Schritte mehrere sogenannte Konsolidierungszyklen“, erklärt Prof. Martens und fügt hinzu: „Je nach genetischem Fingerabdruck der Leukämie ist sogar eine Stammzelltransplantation notwendig, um die Heilungsraten hochzuhalten.“

Mediziner sprechen bei diesen nachgelagerten Therapieschritten von einer Konsolidierung. Rechnet man nun sämtliche Behandlungsschritte bei einer AML zusammen, müssen sich Patienten auf einen Behandlungszeitraum von insgesamt rund sechs Monaten einstellen – wenn auch mit Unterbrechungen.

Gute Chancen bei APL

Eine Unterform der AML ist die akute Promyelozytenleukämie, kurz APL. Die APL haben circa 5 Prozent der Patienten. Ihre Behandlung stellt eine Ausnahme dar. „Die APL wird heutzutage ohne eine Chemotherapie behandelt, nämlich mit Tretinoin, einem Vitamin-A-Säure-Derivat, und Arsen. Die Heilungsrate liegt hier bei rund 90 Prozent“, sagt Prof. Martens.

Bei älteren Patienten werden auch nicht intensive Therapien eingesetzt. Diese erfolgen ambulant mit Infusionen oder Bauchspritzen. Auch werden Substanzen eingesetzt, die die Fehlfunktion der Stammzellen umprogrammieren sollen. Man spricht hier von einer epigenetischen Therapie. Allerdings ist damit oft keine Heilung möglich, dafür aber eine Lebensverlängerung.


Prof. Dr. Uwe Martens, Direktor der Medizinischen Klinik III der SLK-Kliniken Heilbronn, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie/Internistische Onkologie, Gastroenterologie und Palliativmedizin © Privat