Für Trophäen kämpfen Kunsttherapie: Mit Malen neu denken lernen

Autor: Dietmar Kupisch

„Es hilft, Gefühle auf der Leinwand loszuwerden." © Leonid – stock.adobe.com

Erfolgreiche Behandlungsformen gegen den Krebs gibt es viele. Die Pro­gnosen verbessern sich rasant. Dennoch ist die seelische Belastung für die Betroffenen oftmals groß: Niemand kann ihnen garantieren, wirklich wieder gesund zu werden – ständig plagen Sorgen, Traurigkeit und Ängste rund um die Erkrankung. Es gilt also, die Zeit der Therapie und Nachsorge mental möglichst gut zu meistern. Psychische Stärkung ist wichtig. Malen kann helfen, die Therapie gut zu überstehen.

Kunst wirkt. Psychoonkologen wissen längst: Krebspatienten, die sich künstlerisch betätigen, leiden weniger stark unter ihren Krankheitssymptomen. Das seelische Gleichgewicht kommt wieder in Balance. Forscher des amerikanischen Northwestern Memorial Hospital in Chicago fanden in einer Studie heraus, dass künstlerische Betätigung den Leidenden eine große Portion Lebensqualität zurückgeben kann. Krebspatienten nahmen in der Studie regelmäßig an einer viermonatigen Kunsttherapie teil. Die meisten Nebenwirkungen ihrer Behandlung, wie etwa Erschöpfung, Appetitlosigkeit oder Schmerzen, verringerten sich deutlich. Die Forscher schlussfolgerten, dass die künstlerische Betätigung die Patienten von ihrem Leiden ablenkte und ihnen ein Gefühl von Kon­trolle zurückgab.

Gefühle auf die Leinwand bringen

Ähnliche Erfahrungen machte auch Marianne M. aus Hannover. Die ehemalige Darmkrebspatientin litt sehr unter dem psychischen Druck ihrer Prognose: „Ich verarbeitete meine Ängste und Sorgen, aber auch die positiven Stimmungen in meinen Bildern.“ Marianne M., die heute wieder als Beamtin im öffentlichen Dienst arbeitet, begann während ihrer zehnmonatigen Therapie mit dem Malen. „Die Motive ergaben sich einfach ganz automatisch, je nach Stimmungslage. Ich brachte quasi meine Gefühle auf die Leinwand“, berichtet Marianne M. „Mal kamen dabei abstrakte Bilder heraus, mal konkrete Motive.“

Stark bleiben

Auf Marianne M. wirkte ihre Kunst beruhigend – lenkte sie doch über einen längeren Zeitraum von der Erkrankung ab. „Oftmals war ich über Stunden versunken in meinem Bild. Ich grübelte über die richtige Farbwahl nach und probierte unterschiedliche Perspektiven aus. An meine Therapie und die lästigen Nebenwirkungen dachte ich nicht mehr.“ Neben dieser nützlichen Ablenkung waren auch die entstandenen Bilder hilfreich: „Hatte ich ein Bild fertiggestellt, erfüllte mich das mit Stolz und Glück. Es machte mich zudem irgendwie stark. So hatte ich zum Beispiel meine Zukunftsängste mit einem Bild von mir am Meer verarbeitet. Dort würde ich nach erfolgreicher Therapie sein, das war für mich klar.“

Lebensfreude in der Gemeinschaft zurückgewinnen

Marianne M. malte fast täglich. Und so kam ihre Lebensfreude Schritt für Schritt zurück. „Ich traf mich zudem mit anderen Betroffenen und organisierte gemeinsame Malstunden. Bevor es losging, sprachen wir ganz offen über unsere Gefühlswelt. Das wirkte immer sehr befreiend. Anschließend begannen wir zu malen und es wurde ganz ruhig“, erinnert sich Marianne M. und schmunzelt. „Auffällig war, dass meist ähnliche Bilder entstanden, die stets fröhlicher Natur waren. Oft waren Menschen zu sehen, die tanzten, feierten oder Urlaub machten.“ Das Zusammensein mit Leidensgenossen, mit Menschen, die die Gefühlswelt des Anderen verstehen, machte offenbar jeden Einzelnen fröhlich. „Was ursprünglich als Malgruppe gedacht war, wurde später ganz automatisch zu einer Art Selbsthilfegruppe. Auch wenn wir relativ wenig sprachen, half uns der soziale Kontakt, das gemeinsame Ziel.“

Aktiv und selbstbestimmt

Neben der Ablenkung und Beruhigung, die Marianne M. durch ihr Malen erlangte, befriedigte sie damit gleichzeitig ein weiteres Bedürfnis. „Viele Patienten geraten nach ihrer Krebsdiagnose in eine fremdbestimmte passive Situation. Das zieht sie mental noch weiter runter als ohnehin schon“, sagt Marianne M. und betont: „ Ich wollte auf gar keinen Fall einfach nur als kranke Person wahrgenommen werden, die von allen bemitleidet wird, stumpf den Ärzten und ihrem Behandlungsschema folgen muss und ansonsten schlapp auf dem Sofa liegt.“ Mit ihrer Kunst blieb Marianne M. aktiv. Auch wenn sie mal den einen oder anderen Tag pausieren musste, etwa weil die Chemotherapie körperlich zu sehr anstrengte. Wichtig war ihr, etwas zu schaffen, eine Aufgabe zu verfolgen und Ziele umzusetzen – so wie vor der Krankheit im Alltag und Beruf. „Dieser Aspekt meiner künstlerischen Phase war ebenfalls sehr wichtig für die Krankheitsbewältigung. Ich kann jedem Betroffenen nur raten, sich während der Therapie irgendwie zu betätigen. Es hilft.“

Die Welt wurde unmerklich heller

Im Laufe der Zeit änderte sich die Wahl der Farben. Das merkte Marianne M. erst nach Beendigung ihrer Therapie: „Ich schaute mir meine Werke ein Jahr später noch mal an und bemerkte, dass die letzten Bilder durch hellere und fröhlichere Farben geprägt waren. Offensichtlich ein Abbild meiner mentalen Verfassung, die sich stetig verbesserte.“ Heute malt die Hannoveranerin nicht mehr. Sie hat mit ihrer Krankheit abgeschlossen und ist in ihr altes Leben zurückgekehrt. Die Bilder hängen aber an ausgewählten Wänden, in unterschiedlichen Räumen ihres Hauses. „Sie sind für mich wie Trophäen, für die ich in einer schweren Lebenssituation kämpfen musste. Manchmal eine schöne Erinnerung.“